Das Warm-up der Französischen Revolution

Während des brütend heißen Julimonats 1789 erreichten die Temperaturen im Treibhaus des Ancien Régimes ihren historischen Siedepunkt. Unter den Sonnenstrahlen des Königs reifte unweigerlich der aufklärerische Nektar. Indes ein Souverän in Versailles der Hirschjagd frönte, rottete sich kurz vor den Iden des Juli eine Herde aufgebrachter Pariser zusammen, um Tore und Ketten des Staatsgefängnisses zu sprengen. Mit diesen Gedanken intoniert Éric Vuillard seine poetische Nacherzählung, die den Namenlosen in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt. Es sind die kleinen Kaufleute und Handwerker, die Bürger, Studenten, Arme und Räuber, die zwischen den Zinnen der Bastille hervorstechen. In einer lyrischen Namensparade lässt Vuillard die 871 „Sieger“ und 98 Toten der Bastille vom Tode auferstehen. Den nackten Fakten entlockt der Autor eine verblüffende Lebendigkeit und versucht die Tiefe der menschlichen Existenz auszuloten.

Titelbild Eric Vullard - 14. Juli

Die Intifada der kleinen Leute beginnt am 23. April 1789 mit dem Ansinnen des Eigentümers der Königlichen Tapetenmanufaktur, die Löhne seiner 300 Beschäftigten zu senken, um bessere Exportmöglichkeiten zu lukrieren. Jean-Baptiste Réveillon ist überzeugt, die Arbeiter könnten auch mit 15 Sous pro Tag auskommen, wenn auch das Brot und alles Lebensnotwendige teurer geworden ist. Der Autor macht aus seiner Sympathie für die Aufständischen keinen Hehl. Der anschließende Sturm auf das Anwesen des Monsieur Réveillon ist Produkt eines selbstzerstörerischen Luxus, wodurch das ärmlich Volk aus nächster Nähe sehen konnte, „wie ihr ausgelaugtes Leben hier zu Zuckerwerk geworden ist“, wie „die tägliche Plackerei der Menschen und die Arbeit der Menge sich hier in Gold verwandelt hatten“.

Auch die Gewalt der Bajonette vermochte die heilige Nacht der Revolution nicht zu ersticken. Die Pariser stürmen Waffenarsenale und plündern Theaterrequisiten. Falsche Speere verwandeln sich in echte Schlagstöcke, die „metallenen Schmetterlinge“ läuten Sturm. Im temporeichen Heldenepos Vuillards bleibt trotzdem Zeit, die Physiognomien, Gedanken und Berufe der Akteure vorzustellen. In dieser Begeisterung für das Kleine und Geringe verbinden sich historische Archivarbeit und literarische Imagination.

Der einzige, wenn auch klar erkennbare theologische Tropus: Im entscheidenden Augenblick des stürmischen Geschichtsmythos überwindet eine kleine Planke aus Holz den garstigen Graben, die „Leere zwischen den Menschen und Gott, die überbrückt werden will“ (107), um „wie auf der Decke der Sixtinischen Kapelle“ (113) das ersehnte Kapitulationsdokument zu ergreifen. Diese gedankentiefe Symbolik übermitteln uns bereits die Kirchenväter. Ob der Autor diese Motivik bewusst aufgegriffen hat?

Weit entfernt vom Subgenre eines „Mantel-und-Degen-Romans“ schenkt dieses Buch lebendige Einblicke in die kurze Epoche der (Vor-)Geschichte der Französischen Revolution. Als bildreiches Panorama verkörpert es eine „Liebeserklärung an die menschliche Vorstellungskraft“. Vuillards Buchstabe erweckt die Toten wieder zum Leben.

Florian Mayrhofer

Vuillard, Éric: 14. Juli. Matthes & Seitz 2019, 136 Seiten, € 18,- ISBN: 9783957575197

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

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