Mehr Mentalität als Religion

Das Reformationsgedenkjahr 2017 ist längst vergangen, der Markt ist mit Biographien über Martin Luther regelrecht überschwemmt. Der Name Volker Reinhardt ist dem Kunsthistoriker und Historiker ein Begriff: er hat Publikationen zu seinem engeren Forschungsgebiet, der italienischen Renaissance, vorgelegt, und das in großer Zahl. Aber auch eine Papstgeschichte sowie Monographien zur Geschichte des barocken Rom, eine Geschichte der Stadt Rom im allgemeinen, eine Geschichte Siziliens, Italiens im allgemeinen, sowie der Schweiz, aber auch ein Werk über Leben und Werk des Marquis de Sade stammen aus seiner Feder. So läuft diese im Vorfeld des Reformationsgedenkens publizierte Darstellung Gefahr, im produktiven Fleiß seines Verfassers, seines Zeichens Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit an der Universität Freiburg in der Schweiz und Schüler des Frühneuzeit- und Konfessionalisierungsexperten Wolfgang Reinhard, sowie in der Publikationsflut um das Jahr 2017 herum ein wenig unterzugehen.

Durchaus zu Unrecht, denn Reinhardt verfügt nicht nur über einen lesenswerten Stil und eine beeindruckend souveräne Quellenkenntnis, sondern weiß auch mit einer aparten Grundthese zu überzeugen: Im Grunde sei die Reformation das Produkt eines transalpinen Missverständnisses, eines Clash of Civilizations, und zwar des Aufeinanderprallens eines barbarischen, grobkörnigen Teutonentums (der Regisseur Helmut Dietl prägte den Ternar „tragisch, faustisch, deutsch“) mit dem kulturell überlegenen „Welschland“, dem überfeinerten Renaissancepapsttum mit all seinen Auswüchsen und Verformungen. Dieses Papsttum hat seine kulturelle Überlegenheit süffisant und mit einem Übermaß an Protz zu zelebrieren gewusst. Auf dieses kulturelle Selbstbewusstsein musste ein deutsches Mönchlein mit seinen mystischen Überspanntheiten und Verklemmungen („Mönchsgezänk“) schlechterdings hinterwäldlerisch wirken. Luther wiederum konnte Leo X., den Bruder des Medicifürsten Lorenzo il Magnifico, als nichts anderes empfinden denn als „epikureische Sau“.Das reformatorische Bewusstsein sei ein spezifisch deutsches: schlicht, einfach, schnörkellos, gerade, „quadratisch, praktisch, gut“, um einen Werbeslogan zu zitieren. Um diese These zu untermauern, zitiert Reinhardt ausführlich aus Luthers Tischreden. Dabei ist zu beachten, dass der Italienkenner Reinhardt seine Sympathien deutlich auf der italienischen Seite zu haben scheint – dies verwundert bei einem Lehrstuhlinhaber in einem romanisch geprägten Land nicht unbedingt. Allerdings hat ihm diese ultramontane Schlagseite hier und da auch leicht säuerliche Reaktionen von Seiten der deutschen Presse eingehandelt.

Natürlich: Reinhardts renaissanceverliebte Darstellung bewegt sich hier und dort gefährlich nahe am Klischee. Anklänge an Goethe und Winckelmann, an die Italiensehnsucht der Deutschen im 19. Jahrhundert, auch an Nietzsches Darstellung der Ressentimentmoral, die sich in jüngerer Zeit beispielsweise in Joachim Fests fulminantem und viel zu wenig beachtetem Tagebuch einer Italienreise („Im Gegenlicht“, 1988) niederschlagen, bilden den Basso continuo des Buches. Italien ist hier „das Land, wo die Zitronen blühn“ (Goethe, Mignon), Hort der antiken Mäßigkeit, der Menschenwürde, der humanitas, fernab des furor teutonicus. Wie schreibt Eichendorff: „Ich komme aus Italien fern / Und will euch alles berichten, / Vom Berg Vesuv und Romas Stern / Die alten Wundergeschichten.“ Dieses Italien-Phantasma kontrastiert mit der deutschen bzw. nordalpinen Schwerfälligkeit, der nationalistischen Grobklotzigkeit. Diese Aporie ist beispielsweise eines der großen Themen von Thomas Manns Roman „Doktor Faustus“. Mag Reinhardt auch das Klischee streifen – ein lesenswertes Buch über die Reformation aus empathisch und emphatisch südalpiner, römischer Perspektive ist im Luther-Büchermarkt in jedem Falle eine Erfrischung.

Eugenius Lersch

Volker, Reinhardt: Luther, der Ketzer. Rom und die Reformation, Verlag C.H. Beck 3. Auflage 2017, 352 Seiten, € 24,95 ISBN: 978-3406688287

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