Weißbuch Islam
Die vorliegende Publikation des Autorenehepaars Tworuschka benennt 38 Thesen gegen eine islamophobe Hysterie und setzt sich zum Ziel, der einseitigen negativen Rezeption des Islam in unserer Gesellschaft entgegenzutreten. Vier Abschnitte gliedern die Theoreme in überschaubare Sinnabschnitte: Von medial-politischer Wahrnehmung spannt sich der Bogen zur facettenreichen Begriffsklärung des „Islam“, hin zu vielschichtigen Antworten auf kontroverse Themen, etwa ob Menschenrechte und islamische Werte korrespondieren können, um abschließend praktische Erkenntnisse und Forderungen zu postulieren.

Kult und Kultur sind ein verwobenes Wortnest, das sich gegenseitig durchdringt, bedingt und hervorbringt. Dieser Gedanke wird nur in Marginalien thematisiert, stellt für jede Religion, mit Anspruch auf Kulturgestaltung, jedoch mehr als eine Randbemerkung dar. In welchem Baustein der religiösen DNA ist der offensichtliche Rückfallmechanismus vieler muslimisch geprägter Staaten auszumachen? Aus welchem Grund hat die Mehrheit der muslimischen Staaten heute autoritäre Regime und unterdrückende Staatssysteme (José Casanova)? Diese Frage bewegt den Leser, leider bleibt sie unbeantwortet. Dass ein unterrepräsentierter Zentralrat der Muslime (in Deutschland), – er kommt besonders im praktischen Erkenntnisteil zu Wort, – darauf keine verbindliche Antwort geben kann, ist offensichtlich. Ebenso die vornehme Absicht der Autoren, mittels These-Antithese eine Synthese zu erreichen und damit die „Fratze“ der Islamkritiker (11) zu demaskieren. Das vorliegende „Weißbuch“ und dessen Islambild wirkt an vielen Stellen wie ein Weichspüler. Es plädiert für mehr Ambiguität (115) in unserer Gesellschaft und postuliert damit eine Forderung, die in bestimmten Teilen dieser Welt ein Schattendasein fristet.
Die Verfasser operieren an Schlüsselstellen zuweilen mit Statistiken und bestätigen so ihr Selbstverständnis als „praktische Religionswissenschaftler“, womit sie demonstrieren, dass die Islamdebatte mit einer Islambilddebatte korrespondiert (27). Anhand dieses Axioms sind auch die weiteren Thesen zu deuten: Nicht jede islamische Ausprägung und Schattierung muss zwangsläufig auf „den“ Islam zurückzuführen sein, sondern kann entweder subjektive Auffassung oder subjektivistische Verzerrung des Islam bedeuten. Der Klappentext verdeutlicht dieses Muster, insofern er Islamisten und Islamkritikern apriori unterstellt, aus dem Koran Suren herauszupicken, „Surenpingpong“ (41) zu betreiben, um ihr fundamentalistisches Denken und Handeln aus dem „Urtext meinen begründen zu können“. Die Gleichstellung Islamisten/Islamkritiker zieht weite Kreise in der Islamdarstellung der Tworuschkas, die bisweilen eine zu intensive Opferrolle einnimmt. Wenn auch islamisch und politisch-problematische Entwicklungen nicht verschwiegen werden, verhindert die federführende „Hermeneutik des Vertrauens“ (17) eine aktive Auseinandersetzung mit dem Selbstverständnis außereuropäischer Islamdefinitionen. Die vier Literaturhinweise, allesamt Publikationen aus eigener Hand, verdichten diesen Gedanken; sie referieren über ein Islambild (in Deutschland).
Speziell die Pluralität der differenzierten Islambilder erschwert dem Nichtkundigen die konkrete Einordnung und macht ihn mitunter empfänglich für Verunglimpfung und Pauschalisierung. Ebenso pauschal wäre die Unterstellung, jeder Muslim unterstütze das Entstehungsszenario der Autoren, wonach der Koran das Produkt einer 22-jährigen Diskussion sei: zwischen Mohammed, seiner Gemeinde und Vertretern anderer spätantiker Religionstraditionen. Hier offenbart sich die zu stark westlich orientierte Islambilddebatte der Publikation, zeigen sich bisweilen monokausale Erklärungsmuster, etwa die Aufteilung der Salafisten in drei (voneinander separierten?) Gruppen (76), wodurch der Zusammenhang zwischen religiösem Purismus, politischen Bestrebungen und djihadistischer Subkultur mit einem rhetorischen Fragezeichen versehen werden müsste.
Florian Mayrhofer
Tworuschka, Monika / Tworuschka, Udo: Der Islam. Feind oder Freund? 38 Thesen gegen eine Hysterie, Kreuz Verlag 2019, 144 Seiten, € 15,- ISBN: 9783946905691

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