Brückenbauer für die kulturelle Verständigung
Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine Dissertation. Trotz der wissenschaftlichen Form blitzt immer wieder die Faszination durch, die die Person, der sie gewidmet ist, ausübt: Reinhard Raffalt, der im Jahre 1976 im Alter von 53 Jahren starb, war in der konservativ-katholischen kulturellen Szene des Adenauer-Deutschlands unbestritten ein Platzhirsch. Er war Musiker, Rundfunkjournalist, Romkenner, Schriftsteller, Intellektueller, Filmemacher, „Netzwerker“ und Kulturpolitiker in einem.

Traut arbeitet Züge seines Charakters heraus: Raffalt war eine schillernde, individualistische, durch und durch künstlerische Persönlichkeit mit unverkennbar eitlen, genusssüchtigen und selbstherrlichen Zügen, schlechterdings auch in der Blütezeit seines Schaffens (1950er, 1960er Jahre) unzeitgemäß, eher dem Zeitalter des Barock nahe als dem 20. Jahrhundert. Traut zeichnet den Lebensweg dieses bekennenden und stolzen Bayern akribisch nach, bietet umfassendes Quellen- und Recherchematerial, bietet Erkenntnisse aus persönlichen Gesprächen mit Reinhard Raffalts Witwe dar und versucht zudem, das kulturpolitische bayerisch-italienische Networking der Vor-68er-Zeit dem Leser ein wenig näherzubringen. Dieser methodische Ansatz erklärt sich wie folgt: Der Autor ist Historiker mit deutlichem Schwerpunkt auf neuerer Geschichte und Politikwissenschaften; zudem wurde die Arbeit von einer christdemokratisch positionierten Stiftung gefördert. Der Leser braucht also weniger eine Analyse der geistesgeschichtlichen Hintergründe Raffalts oder philosophische Reflexionen über sein Werk oder gar Interpretationen seiner Werke zu erwarten. Allerdings klammert Traut diese Hintergründe auch nicht völlig aus.
Die Lektüre des Buches lässt etwas von der Lebenstragik eines Menschen erahnen, den die kulturellen Umbrüche der späten 1960er Jahre in der westlichen Welt ziemlich unvermittelt getroffen und ins Abseits gestellt haben – was für einen stark repräsentativ orientierten, mitteilsamen Menschen doppelt schlimm gewesen sein muss. Die Fragestellungen der 68er-Bewegung, auch die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils waren einem Menschen, der – wiewohl kein Vorzeige-Kirchgänger – derart in der bildungsbürgerlich-katholischen Sphäre der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (mit starker Rückbindung an die Epoche vor etwa 1800, vor der Französischen Revolution und der Säkularisation im Heiligen Römischen Reich) beheimatet war und daraus seine geistigen und geistlichen Reserven schöpfte, schlechthin unverständlich. So wurde Raffalt um sein 50. Lebensjahr herum ein scharfer Kritiker der Ostpolitik Pauls VI. Die Modernisierungswelle nach dem Zweiten Vaticanum war ihm ebenfalls nichts anderes als kultureller Abbruch. Viele Weggefährten haben sich von ihm abgewendet. Um diese Zeit herum hat sich Raffalts Gesundheit auch rapide verschlechtert, bis zu seinem Tod im Jahre 1976.
Trauts Arbeit macht Appetit auf einen genialischen Menschen, der viele Züge des Rom- und Italienkenners des 18. und 19. Jahrhunderts noch einmal in sich vereinigt hat. Es ist Interessierten durchaus zu empfehlen.
Eugenius Lersch
Traut, Julian: Ein Leben für die Kultur. Reinhard Raffalt (1923-1976) zwischen Bayern, Deutschland und Italien, Friedrich Pustet 2018, 302 Seiten, € 39,95 ISBN: 9783791729367

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