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Seelenraub
Manfred Flügge apostrophiert als Künsterbiograph in „Stadt ohne Seele, Wien 1938“ einen traumatischen Wendepunkt innerhalb der österreichischen und europäischen Geschichte. Das Abstract verspricht eine Beleuchtung der Rolle der katholischen Kirche. Flügges Buch versteht sich jedoch nicht als Sachbuch, sondern als kulturkritische Zeitanalyse, mitunter im Genre eines Historienromans samt tiefenpsychologischen Exkursen, wodurch diese Erwartung nur ansatzweise erfüllt werden kann. Dem Leser erschließt Flügge dennoch neue Perspektiven, vor allem das indirekt-intellektuelle Gegensatzverhältnis zwischen Hitler und Freud, dessen Biographie die Erzählungen umrahmen und den Buchtitel untermauern. Dem Anschluss an Hitler-Deutschland folgte der Ausschluss und der Abschluss jüdischen Lebens, die Emigration und Terrorisierung nichtarischen sowie intellektuellen Lebens im Zentrum des ehemaligen Vielvölkerstaates und mit…
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Topographie der Erinnerung
Die Geschichte der Stadt Wien ist untrennbar mit der jüdischen Kulturgeschichte verbunden, verdankt sie doch ihre Entwicklung zur prosperierenden „mitteleuropäischen Metropole“ auch den geistigen und wirtschaftlichen Leistungen ihrer jüdischen Mitbürger: den Künstlern, Intellektuellen, Wissenschaftler und Bankiers. Die Donaumetropole galt im Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert als blühendes Zentrum jüdischer Kultur, jedoch dezimierte der Naziterror des Zweiten Weltkrieges die jüdische Bevölkerung auf einen heiligen Rest: von 200.000 (1923) auf knapp 7.000 (2001) Juden und Jüdinnen, die heute in Österreichs Bundeshauptstadt leben. Der Zivilisationsbruch verschlang neben ihrem Leben oftmals auch ihre Spuren. So fehlt von den einhundert Synagogen und Bethäusern Wiens bis auf den „Stadttempel“ jede Spur. Dieser überlebte das Feuerinferno…