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Ein Tanz auf dem Vulkan
Feministische Islamkritik zählt gegenwärtig zu den exotischen Genres im literarischen Spektrum. Als Initialzündung diente Alice Schwarzers Iranreise im Jahr 1979, wodurch dieses fremdartige Compositum auf Anhieb in die Entrées feministischer Salons katapultiert wurde. Mit provokanter Äquivokation kommentierte die Ikone der Frauenbewegung den gesellschafts- bzw. kulturpolitischen Umbruch im Reich des Schahs als „schleierhaft“. Für Schwarzer musste das patriarchal anmutende Kleidungsstück als Bevormundung und Unterdrückung erscheinen, als „tragisches Symbol“. Es verwundert nicht, dass Feministinnen des 21. Jahrhunderts diese Gedanken weiterspinnen und den einhergehenden Kulturwandel in Europa daran messen. Antje Sievers entdeckte als junge Studentin ihre Liebe zur arabischen Kultur und dadurch zum orientalischen Tanz. Mehr als 25 Jahre lebte sie von den…
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Ich fühle, also bin ich?
In unserer postreligiösen Gesellschaft ist das Moralin zum Religionsersatz mutiert. Oder mit etwas mehr Charme und an Anlehnung an das Titelbild formuliert: Hypermoral ist der menschlich-sakrale Zeigefinger in der Wunde des Kränkungsfetischismus. „Wir leben im Zeitalter der Hypermoral.“ Mit diesem Postulat beginnt das jüngste Buch des Essayisten Alexander Grau, Jahrgang 1968. Hier beschreibt ein deutscher Philosoph, der über Hegels Erkenntnistheorie promovierte, den zum neuen Lifestyle gewordenen Moralismus. Man echauffiert sich heutzutage nicht, wie noch die Großelterngeneration, über den verloren gegangenen Anstand, über die unerzogenen Kinder des Nachbarn oder über Tattoos, sondern über Umweltsünder, Sexisten, Atomkraft und Kritiker der uneingeschränkten Migration. Wer diesen gängigen moralischen Wertevorstellungen widerspricht, dem droht soziale Ächtung…