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Tiefgründige Alternativhistorie
Absurd, glaubhaft, wohldurchdacht und höchstkomisch-bizarr repariert Hannes Stein in seinem Debütroman von 2014 die Weltgeschichte; mit einem religiösen Fragezeichen am Ende der Geschichte. Die Worte des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand: „I bin doch net deppat, i fohr wieder z’haus“ fegen nicht nur das Mordkomplott der „Schwarzen Hand“ aus den Büchern der Geschichte, sondern auch den Ersten Weltkrieg samt folgenden Zusammenbruch der Zivilisation. In Europa herrscht Frieden, Wien ist und bleibt der Nabel der Welt, Amerika ein riesiges Land voller Cowboys und Hinterwäldler, die jüdische Religion Teil der europäischen Realkultur. Im Zentrum der Hauptstadt des k.u.k. Vielvölkerreichs lässt Hannes Stein seinen jungen Protagonisten Alexej auftreten, einen heruntergekommenen, aber feinsinnigen Studenten russischer…
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Der feiernde Olymp
Die alten Götter waren tot, jene heiteren, deutlichen und liebenswerten Götter, die man so gern verehrt hatte, weil man wußte, auch in ihren Seelen wohnten der Regungen einige, die den Menschen zu einem Gott und Gott zu einem Menschen machten. Mit diesem Satz beginnt Wolf von Niebelschütz (1913-1960), Sohn eines Kunsthistorikers aus böhmisch-schlesischem Uradel, sein Opus magnum „Der Blaue Kammerherr. Ein galanter Roman“. Dieses mitten im Zweiten Weltkrieg verfasste, 1949 erschienene, 1000 Seiten umfassende Epos passt so gar nicht in die Kahlschlags-, Wohnküchen-, Heimkehrer- und Trümmerliteratur der Bundesrepublik, die von der Gruppe 47 und ihren intellektuellen Exponenten Böll und Grass dominiert wurde. Der Roman, der sich in Aufbau und Stil…