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125 Volt gegen den Zeitgeist
Asfa-Wossen Asserate, seines Zeichens äthiopischer Prinz und Deszendent des davidischen Königshauses, verdanken wir den Hinweis, dass unsere Manieren maßgeblich auf christliche Wurzeln zurückgehen. In seinem vielbeachteten Buch „Manieren“ (Erstveröffentlichung 2003) liefert der Kulturphilosoph an bedeutenden Stellen Anknüpfungspunkte zur christlichen Theologie. Dass sich Manieren, Etikette und Anstand in der Öffentlichkeit zur Conditio-sine-qua-non etablierten, verdankt Europa der hohen Ästimation des weiblichen Geschlechts, der katholischen Mariologie. Der Goldene Faden des höfischen Zeremoniells rund um Unsere Liebe Frau hatte sich sodann vom Burgfräulein bis zur „gewöhnlichen“ Dame weiter gesponnen. Alexander Pscheras literarisch-philosophische Essaysammlung mit dem spannungsgeladenen Titel „Vergessene Gesten: 125 Volten gegen den Zeitgeist“ thematisiert die vom Aussterben bedrohte Gestik und Wortvielfalt in unserer…
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Innerlichkeit und Handlung
Mystik ist kein elitärer Sonderweg, der nur großen Heiligen zugänglich wäre, betont Gotthard Fuchs, der sich schon seit Jahrzehnten intensiv mit Mystik beschäftigt. In jedem Menschen wohnt eine tiefe Sehnsucht, die mehr will als das bloß Alltägliche. Mystiker versuchen nun aber gerade nicht, das Alltägliche abzuwerten. Vielmehr zielen sie darauf ab, dass die Gegenwart Gottes auch im Alltag erfahrbar wird. Dafür ist es entscheidend, ein Bewusstsein eines größeren Zusammenhangs zu entwickeln, der alles trägt, durchdringt und bestimmt. In diesem Bewusstsein gelingt es einem mystischen Menschen, auch im Alltäglichen immer wieder zu entdecken, dass das scheinbar Selbstverständliche gar nicht so selbstverständlich, sondern eigentlich ganz wunderbar und geheimnisvoll ist. So betrachtet kann…
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Neues Verständnis für einen toten Begriff
Thorsten Dietz ist Professor für Systematische Theologie an der Evangelischen Hochschule Tabor in Marburg. Er studierte Theologie in Münster, Tübingen und Marburg (wo er promovierte und sich habilitierte). Sein Buch über Sünde schrieb er „in erster Linie für Christen“ (5); denn mitunter spüren Christen, dass sie das Thema Sünde „nicht mehr gut erklären können“ (5). Dabei vermisst man in seinem Buch allerdings eine Zusammenfassung, d.h. die vielen angeschnittenen Einzelaspekte werden nicht gebündelt zu zentralen Antworten, die der christliche Leser nun aufgreifen könnte für Gespräche mit Andersdenkenden, etwa über die Frage „Was Menschen heute von Gott trennt“ (so der Untertitel). Der Hauptteil des Buches besteht aus sieben Kapiteln (3 bis 9),…