Ein Tanz auf dem Vulkan
Feministische Islamkritik zählt gegenwärtig zu den exotischen Genres im literarischen Spektrum. Als Initialzündung diente Alice Schwarzers Iranreise im Jahr 1979, wodurch dieses fremdartige Compositum auf Anhieb in die Entrées feministischer Salons katapultiert wurde. Mit provokanter Äquivokation kommentierte die Ikone der Frauenbewegung den gesellschafts- bzw. kulturpolitischen Umbruch im Reich des Schahs als „schleierhaft“. Für Schwarzer musste das patriarchal anmutende Kleidungsstück als Bevormundung und Unterdrückung erscheinen, als „tragisches Symbol“. Es verwundert nicht, dass Feministinnen des 21. Jahrhunderts diese Gedanken weiterspinnen und den einhergehenden Kulturwandel in Europa daran messen.

Antje Sievers entdeckte als junge Studentin ihre Liebe zur arabischen Kultur und dadurch zum orientalischen Tanz. Mehr als 25 Jahre lebte sie von den Auftritten als Profi-Bauchtänzerin und erlebte hautnah die Heterogenität ihrer Auftraggeber, zu denen alle Schichten der europäischen Gesellschaft zählten. Als Soziologin transportiert Sievers in ihrem Buch eine „gewisse Portion gesundes Misstrauen“. Im Einklang mit Schwarzer spart sie nicht mit Kritik am islamischen Frauenbild und Pauschalisierungen, die offen bekannt (40), vereinzelt zum alleinigen Maßstab gekürt werden. Leider rauben diese Passagen ihrer Kritik die Durchschlagskraft. Nur stellenweise versucht Sievers den Kern der Sache auszuloten, indem sie mit Sure 4:34 die Unterordnung der Frau thematisiert und den Aufruf zur physischen Gewalt herausstreicht (70). Unbestreitbar ist jedoch die Tatsache, dass die Affinität zu fremden Kulturen und vor allem ihre Profession tiefe Einblicke in die islamische Welt ermöglichten. Zur Sievers Schülerinnen zählten anfangs vorwiegend islamische Frauen, mit denen sich auch intensiv zwischenmenschliche Kontakte pflegte. Verwundert konstatiert Sievers, dass ihre Vorführung bei der genuinen Zielgruppe jedoch immer größere Empörung hervorrief. Als „bessere Prostitution“ standen ihre Auftritte im Fokus sittenstrenger Begutachtung der Religionspolizei. Als sich die ersten Kursteilnehmerinnen verschleiert zum Unterricht einfanden und Kontrollbesuche ihrer Ehemänner immer häufiger wurden, stand für Sievers fest, dass die Vorboten des islamischen Fundamentalismus auch in Europa Fuß gefasst hatten (127).
Stuhlkreispädagogik ist diesem Buch fremd. Der Tanz im Orientexpress gleicht einem Tanz auf dem Vulkan politischer Korrektheit. Bisweilen könnte jedoch der induktive Erkenntnisgewinn einer intensiveren Analyse Vorrang geben, um den Schleier zu lüften. Just diese Provokation regt zum eigenen Weiterdenken, zur gesellschaftlichen Analyse an. Sievers Erfahrungsbericht korrespondiert auf dieser Ebene mit Alice Schwarzers Kritiktradition.
Florian Mayrhofer
Sievers, Antje: Tanz im Orient-Express. Eine feministische Islamkritik, Achgut Edition 2018, 150 Seiten, € 17,- ISBN: 978-3981975505

