Glaube und Heil
Der aus der Schweiz stammende Pallottiner Markus Schulze (Jg. 1960), Dogmatiker und Fundamentaltheologe an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar, gilt als ausgewiesener Kenner der Theologie des hl. Thomas von Aquin und des sich auf ihn berufenden Thomismus. Zu seinem 60. Geburtstag haben Kollegen zentrale Thomas-Artikel von ihm gesammelt und schön strukturiert mit einem auf eine Ansprache Papst Benedikts XVI. Bezug nehmenden Vorwort in vier Kapiteln neu herausgegeben: Gott – Christus – Sakramente – Ewiges Leben. Dabei werden theologische Fragen, die sich dem kritischen Nachdenken aufdrängen, unideologisch und klar erörtert. Immer hat Schulze auch wichtige Thomas-Gelehrte wie Reginald Garrigou-Lagrange, Johannes Brinktrine, Franz Diekamp, Josef Pieper, Gallus M. Manser und Otto Hermann Pesch in seine Darlegungen einbezogen.

Zuerst geht es unter „Gott“ um die Frage, wie man Gott das Attribut der „Barmherzigkeit“ zuschreiben kann und wie es sich mit seiner Gerechtigkeit verträgt (13-72). Ist Barmherzigkeit ein „Effekt“, also ein Werk Gottes, oder mehr ein „Affekt“, eine willentliche Gestimmtheit? In der „Summa theologica“ nennt sie Thomas „die erste Wurzel in jedem Werke Gottes“ (S.Th. I,21,4). In seiner Purgatoriumstheologie ist sie mit Blick auf das Jenseits der Gerechtigkeit untergeordnet (22). Menschliches Erbarmen wird (mit Walter Kasper) als Verständnishilfe für die Theologie der Barmherzigkeit Gottes gesehen. Gott hat aber keine zeitliche „passio“ und muss – da sie sein Wesen ist – die Liebe nicht erst suchen. Seine Leidenschaft ist von höherer Art (59). Für Schulze ist mit Thomas Gottes Barmherzigkeit „auch die Wurzel der Schöpfung. Sie ist die Sein verleihende Liebe unter der Hinsicht der Bedürftigkeit der Dinge, die aus Eigenem das Nichtsein nicht zu überwinden imstande [sind]“ (71). Der zweite Essay (aus der FS seines Lehrers Christoph Kardinal Schönborn) behandelt „das Bittgebet als Beitrag des Menschen zur Vollendung der Schöpfung“ und vergleicht die Ansätze dazu bei Maurice Blondel und Thomas.
Das Kapitel „Christus“ widmet sich zunächst der wichtigen Frage, wie Christus bei Thomas als universaler Heilslehrer für die vor ihm oder außerhalb des jüdisch-christlichen Raumes lebenden Menschen verstanden werden kann. Dann folgt eine instruktive Abhandlung über „Das Priestertum Jesu Christi nach Thomas von Aquin“ (120-161), das für alle Fragen um das Amtspriestertum der Kirche grundlegend ist. Unter „Sakramente“ geht es um die Firmung als Sakrament im „Anschub“, das die Taufe anthropologisch-lebensgeschichtlich vertiefen und bestärken will (165-185), und um die „Schönheit des priesterlichen Amtes“ in der auf Bezüge, Relationen und „versöhnte Verschiedenheit“ (205) achtenden Ordo-Theologie des Thomas (186-212). Wie sehr Thomas entgegen mancher Vorurteile die Gleichwertigkeit der Frau als Bild Gottes und Partnerin in der Ehe sieht, zeigt der Aufsatz „Coniugium und Matrimonium“ (213-252). Für das Problem der Kommunionzulassung für wiederverheiratet Geschiedene können sich allerdings weder Anhänger noch Kritiker des päpstlichen Schreibens „Amoris laetitia“ (2016) auf Thomas berufen (251f).
Im vierten Kapitel „Ewiges Leben“ behandelt Schulze die Frage, wie es für den Menschen als Geschöpf überhaupt eine himmlische Gottesschau („visio beatifica“) geben kann, und ob der Mensch damit nicht will, was er nicht wollen und erblicken kann (255-298). Erst eine übernatürliche Zurüstung ermöglicht dem Menschen die eschatologische Schau. Der subtil-dichte Essay fasst zusammen, was Schulze in seiner Dissertation „Leibhaft und unsterblich. Zur Schau der Seele in der Anthropologie und Theologie des hl. Thomas von Aquin“ (Fribourg 1992) erarbeitet hat. Die wertvolle Aufsatzsammlung kann neues Interesse an Thomas von Aquin und zentralen Fragen der katholischen Theologie wecken.
Stefan Hartmann
Schulze, Markus (Hg.): Glaube und Heil. Thomas von Aquin für heute, Herder 2020, 304 Seiten, € 978-3451386749

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