Mythos Weihnachten?
Das stille Geheimnis der Menschwerdung ist der Notenschlüssel zur Heiligen Nacht. Pünktlich zum Geburtsfest Christi sind auch jene Artikel fertig gedruckt, mit deren Hilfe gebetsmühlenartig die heidnisch-antike Inkarnationsmythologie als Deutefolie aufdeckt werden soll. Dass Weihnachten 2018 in dieser Hinsicht wider Erwarten eine stille Zeit war, liegt wohl nicht in einer befreienden Erkenntnis der Wahrheit, sondern im Eingeständnis der Vorspiegelung falscher Tatsachen begründet. Manch renommiertes Printmedium musste eingestehen, für die Verbreitung von Mythen (unbewusst) selber verantwortlich zu sein. Das gesellschaftliche Gedächtnis ist kurzlebig, die Kritik wird wieder aufleben und verunsichern.

Christoph Kardinal Schönborn liefert in seiner Weihnachtsmeditation ein Vademekum und begegnet der Frage, ob und was an Weihnachten Mythos oder Wahrheit ist. Julfest, Mithraskult, die göttliche Zeugung von Heroen oder die Christianisierung des Sol Invictus, die synkretistische Verschmelzung von Heidentum und biblischen Quellen stünden zur Debatte. Im 17. Jahrhundert mündeten derartige Ansichten im US-Bundesstaat Massachusetts zum gesetzlichen Weihnachtsverbot. 1644, zur Zeit des Königsmörders Oliver Cromwell, beschloss das englische Parlament, das Feiern von Weihnachten unter Strafe zu stellen. Nach Auffassung anglo-amerikanischer Puritaner galt Weihnachten als „unbiblisch“ und damit heidnisches Fest. Schönborn zeigt Ähnlichkeiten mit den bekannten Sagen auf, verortet das christliche Mysterium aber nicht im Mythos, sondern in der jüdisch-biblischen Überlieferung. Im „Traktat über die Juden“ identifiziert Franz Mußner bereits die anthropomorphen Wesensbeschreibungen JHWHs als proleptisch-prophetisches Indiz für die Inkarnation. Der Mythos, auch die Gnosis, ist immer Nachäffung. „Der Parasit bemächtigte sich vampyrisch der aufblühenden Kräfte des Christentums.“ (Hans Urs von Balthasar)
Ist Jesus nun im wörtlichen oder im bildlichen Sinn aus der Jungfrau Maria geboren? Kardinal Schönborn führt mit C.S. Lewis aus John Hicks Sackgasse der pluralistischen Religionstheologie. Der mythische Glanz des Christentums ist kein Indiz für dessen Legende oder Imagination. Bereits die Stoa entdeckte logoi spermatikoi, Vernunftkeime, in jeder vernunftbegabten Kreatur. Mythen sind Vorahnungen, Vorwissen, das auf Erfüllung wartet. Justins Apologie des Christentums erwacht hier zum Leben. Im Logos verlebendigt sich dieser Keim zur Realität, wird der „höchste Mythos“ Wirklichkeit, die Sehnsucht der Völker erfüllt. Mythischer Glanz könnte auch Abglanz der Wahrheit sein. Der Kardinal legt einen weiteren Schwerpunkt auf Maria und die Pneumatologie sowie auf die Prophetie des Alten Testaments. Abschließend erweist sich der Dominikaner als kenntnisreicher Interpret der weihnachtlichen Ikonensprache. „Ein Geheimnis sehe ich, fremdartig und unfaßbar ist’s. Zum Himmel wird die Höhle, die Jungfrau ist der Cherubsthron. Die Krippe ist der Raum, in dem er liegt, den doch kein Raum umgrenzt, Christus, Gott, den wir im Lobgesang erheben.“ (Morgengottesdienst der Hl. Liturgie des Johannes Chrysostomos)
Florian Mayrhofer
Schönborn, Christoph: Weihnacht. Mythos wird Wirklichkeit, Meditationen zur Menschwerdung, Johannes Verlag 1993, 87 Seiten, leider vergriffen ISBN: 3894113111
oder anderer Verlag:
Schönborn, Christoph: Weihnacht. Mythos wird Wirklichkeit, Meditationen zur Menschwerdung, Tyrolia-Verlag 2006, 96 Seiten, € 17,95 ISBN: 9783702227791

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