Das Gesetz des Handelns zurückgewinnen
Mit der Arbeit über die aktive Rolle des Rottenburger Bischofs Joannes Baptista Sproll (1870-1949) legt Franz Xaver Schmid seine siebte Untersuchung zu Leben und Werk dieses „Bekennerbischofs“ aus Oberschwaben mit der Kernthese vor, dass Joannes Baptista Sproll als „verborgener Inspirator“ unter kollegial-konspirativen Bedingungen „mit klarem Auge und in großer Sorge“ an der Vorbereitung jenes kirchlichen Lehrschreibens beteiligt war, das als „Höhe- und Wendepunkt der päpstlichen Politik gegen den Nationalsozialismus“ gilt. (Thomas Brechenmacher, 2011)

Schmids Recherche bestätigt in der Beurteilung der Lage der katholischen Kirche im Dritten Reich eine Feststellung des engsten Mitarbeiters von Eugenio Pacelli, P. Robert Leiber SJ (1887-1967), dass der Weg zur Enzyklika „Mit brennender Sorge“ mit der realistischen Einschätzung begonnen habe, dass die NS-Regierung mit dem Reichskonkordat von 1933 keinesfalls auf ihre ideologischen, antichristlich-neuheidnischen Ziele verzichten wollte und formale Garantien für die Kirche(n) mit zunehmender Absicherung der eigenen Macht als obsolet angesehen hat.
Dass Bischof Sproll und Kardinal Michael von Faulhaber die zunehmend „problemgeladene Frontstellung“ zwischen Christentum und NS-Ideologie zusammengeführt haben, belegt der Verfasser durch ihre Begegnungen bei Tagungen der Dt. Bischofskonferenz sowie den sechs (Geheim-) Treffen, den Vier-Augen-Terminen von Kardinal Faulhaber und Bischof Sproll im Krumbad bei Bad Krumbach, und der Abreise einer gezielt ausgewählten Delegation des Episkopats (Kardinal Bertram, Breslau; Kardinal Schulte, Köln; Kardinal Faulhaber, München; von Galen, Münster; von Preysing, Berlin) in den Vatikan auf Einladung von Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli vom 21.12.1936. Dass Sproll und Faulhaber theologisch und kirchenpolitisch an einem Strang zogen („kein anderes Evangelium“, keine Religion „aus Rasse und Blut“) zeigen auch abgestimmte Kernzitate aus Predigten zur Frage „Reichskonkordat: Ja oder Nein?“ bzw. die „17 Keulenschläge“ eines Forderungskatalogs der deutschen Bischöfe, gerichtet an das Berliner Reichskirchenministerium.
Franz Xaver Schmid zieht aus den engen Gesprächskontakten zwischen Kardinal Faulhaber und Sproll den Schluss, dass für die nachts fertiggestellte Textvorlage des Entwurfs von Kardinal Faulhaber für das römische „Pastorale“, dessen Endredaktion bei Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli unter Beiziehung von P. Robert Leiber SJ und Prälat Ludwig Kaas lag, der Bischof von Rottenburg „als verborgener Inspirator, wenn nicht sogar als verborgener Co-Autor“ des Lehrschreibens „Mit brennender Sorge“ angesehen werden könne, eines Dokuments, das weit über einen gemeinsamen Hirtenbrief der deutschen Bischöfe – in deutscher Sprache verfasst – die Weltkirche und die internationale Politik über die fundierte Kritik der höchsten kirchlichen Autorität am Nationalsozialismus nach perfekter Geheimhaltung ohne diplomatische Floskeln und in vollem Wortlaut am Palmsonntag, 21. März 1937 in Kenntnis setzen sollte. Der im Vatikan wirkende Jesuit P. Friedrich Muckermann erkannte in diesem Coup, dass „die Kirche das Gesetz des Handelns zurückgewonnen“ habe. Als Mitglied der „Bekennenden Kirche“ bezeichnete Wilhelm von Pechmann die Enzyklika in ihrer Wirkung über die katholische Kirche hinaus als eine „Kraftquelle für alle Christgläubigen, aus welcher wir nicht aufhören werden, immer und immer wieder zu schöpfen“, während Gerhard Ohlemüller und Fritz von der Heydt in der Zeitschrift „Wartburg“ (36, 1937) den Wortlaut für den NS-nahen „Evangelischen Bund“ als Zeugnis eines gegenreformatorischen, politischen Katholizismus kritisch glossierten: „Das deutsche Volk kann diese Erweiterung und Verstärkung der feindlichen Front nicht unerwidert lassen“.
Es ehrt den Verfasser den „unbegreiflich und unverständlich ins Vergessen geratenen Bekennerbischof“ aus dem „Schatten des Verkanntwerdens und der Einsamkeit als Kehrseite radikaler Gewissensentscheidungen“ im Kontext des laufenden Seligsprechungsverfahrens ins rechte Licht zu rücken – historisch und menschlich gesehen ein echtes Desiderat.
Willi Eisele
Schmid, Franz-Xaver: Verborgener Inspirator. Bischof Joannes Baptista Sproll und die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ von Papst Pius XI., Kunstverlag Josef Fink 2019, 48 Seiten, € 8,50, ISBN: 9783959761970

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

