Prophetischer Weckruf für Kirche und Welt
Wo Gott und die von ihm gesetzte Grundform menschlicher Existenz aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt und ins Private, bloß Subjektive abgeschoben wird, löst sich der Rechtsbegriff auf und damit das Fundament des Friedens“ (J. Ratzinger). Nach „Gott oder nichts“ (2015) und dem spirituellen Buch „Kraft der Stille“ (2017) folgt eine unbestechlich-prophetische und inhaltlich begründete Analyse des kulturellen und gesellschaftlichen Niedergangs der westlichen Zivilisation aus der Sicht eines katholischen Kardinals mit afrikanischen Wurzeln. Vom Selbstmord des Westens ist die Rede: „Das Abendland geht seinem Untergang entgegen, weil die Christen ihre Sendung aufgegeben haben. Sie blicken nicht mehr gen Himmel, sondern sind Geiseln von neuen Paradigmen. Sie passen sich der Welt an“ (356).

Sarahs Buch ist ein Aufschrei gegen eine gottlose Kultur des Relativismus, die sich auch in den Kirchen ausgebreitet hat. Sarah beginnt im Vorwort „Das Geheimnis des Judas Iskariot“ mit der Analyse des Selbstverrats der Kirche angesichts der Missbrauchsskandale: „Der Rauch Satans, wie Paul VI. sagte, hat sich über uns gesenkt. Die Kirche sollte ein Ort des Lichtes sein; doch sie ist zu einem dunklen Loch geworden.Sie sollte ein sicheres und friedliches Heim sein; doch was für eine Räuberhöhle ist sie geworden“ (11). Das Versagen in der Kirche wird aber nicht isoliert (wie etwa in dem bekannten Martel-Buch „Sodom“), sondern in den Zusammenhang des allgemeinen Abfalls von Gott auch durch einen sogenannten „weichen Atheismus“ gestellt. Gebet, katholische Lehre, Verbundenheit mit dem Papst und brüderliche Liebe können aus dem Niedergang herausführen – wenn nur die Krise der abendländischen Identität und der geistigen Trägheit überwunden wird (132).
Dafür entscheidend ist besonders die zu einem „Schlachtfeld“ (173) gewordene Liturgie, in der sich Banalitäten, thematische Verzweckungen und Infantilismen ausgebreitet haben. Sarah präferiert die Zelebration „versus orientem“ und die außerordentliche Form des einen römischen Ritus, die die Heiligkeit Gottes stärker spürbar machen. Zurückgewiesen wird die dem biblisch-christlichen Menschenbild widersprechende Gender-Theorie (194), die durch die Ablehnung von Vater- und Mutterschaft die Gesellschaft in chaotische Zustände versetzt und jede anthropologische Verwurzelung untergräbt (251). In Afrika und Asien sei diese Gefahr weniger gegeben als im amerikanisch-europäischen Westen mit seinen säkularen Einheits-Ideologien. Für Jugendliche sei es wichtig, von ihren Fixierungen auf Tablets und Smartphones wegzukommen, damit sie wieder fähig zur Stille werden, in der allein eine echte Liturgie erfahren werden könne (291). Schließlich werden auch die Fragen Migration und Vordringen des Islam von Sarah kritisch angesprochen, der vom Vatikan unterstützte Migrationspakt von Marrakesch abgelehnt. Konsumismus, Hedonismus und Vergnügungssucht – „Das moderne Leben gleicht immer mehr einer endlosen Party“ (308) – machen Menschen zu Robotern und willenlosen Objekten der Manipulation. Der „Kult des Wohlstandes“ (315) führe zu einer „brave new world“ (Aldous Huxley), die Individuen und Gemeinschaft zerstöre. Die Gesetze des globalen Kapitalismus (332) unterstützen all diese kulturellen Krisen und Auflösungstendenzen. Am Ende steht der „Trauermarsch der Dekadenz“ (349), den Sarah mit dem Untergang Roms vergleicht. Der ethische Relativismus ist dabei das Schlimmste, da er gut und böse nicht mehr unterscheidet.
Unter „Religionsfreiheit“ gibt Sarah in Anknüpfung an Ratzinger/Benedikt XVI. Hinweise für das christliche Verhalten in der Politik (357-366) und erwähnt die vor allem islamistische Verfolgung und Diskriminierung von Christen. Nach all den sehr pessimistischen und aufrüttelnden Analysen, die ganz in der Linie von oft zitierten Äußerungen der Päpste Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus stehen (den beiden letzteren und anlässlich seines goldenen Priesterjubiläums „allen Priestern“ wurde das Buch gewidmet), gibt Sarah im Schlussteil seines Buches eine positiv-spirituelle Weisung mit dem Rat, sich in die vier Kardinaltugenden und drei göttlichen Tugenden einzuüben. Er sieht eine große und in die Tiefe gehende Kirchenreform kommen wie nach dem tridentinischen Konzil. Sein Buch „Herr, bleibe bei uns“, das viel Belesenheit und die Kenntnis französischer Autoren (de Lubac, Bouyer, Garonne, Péguy, Bernanos) bezeugt, ist dazu ein Weckruf. Sarah ruft die Kirche zur wahren Reform der Entweltlichung – und die Welt zur Um- und Abkehr von ihrer Gottlosigkeit. Der aus Guinea stammende Kurienkardinal, seit 2001 in Rom, ist ein geistig-theologischer Erbe des bayerischen Theologenpapstes Benedikt XVI. und zählt selbst zu den „papabile“ in einem künftigen Konklave. Das unbequeme Buch endet bewegend mit dem Gebet „Herr, bleibe bei uns“, das seinen Inhalt noch einmal als Bitte an Gott zusammenfasst.
Stefan Hartmann
Sarah, Robert: Herr bleibe bei uns. Denn es will Abend werden, fe-Medienverlag 2019, 440 Seiten, ISBN: 9783863572426 € 19,80

