Dichter im Feuer und Sturm des Geistes

Noch immer ist Friedrich Hölderlin, dessen 250. Geburtstag am 20. März 2020 begangen wurde, schwer zu vermitteln. Wer nicht an seinen Elegien das Feuer der Begeisterung fängt, wer nicht offen für „Göttliches“ ist, dem wird wohl kaum eine Annäherung gelingen – wie auch sein jüngster Biograf im Vorwort festhält. Dem ahnungslosen und böswilligen Rezensenten des „Spiegel“ hat dieser Satz gereicht, um das ganze Buch abzulehnen. Nichtsdestotrotz ist Rüdiger Safranski wieder ein großer Wurf gelungen, der die Reihe seiner anderen populären Bildungsschriften erweitert – seien es die einzigartigen Biografien über E.T.A. Hoffmann, Schopenhauer, Heidegger, Nietzsche, Schiller und Goethe, oder thematische Abhandlungen über das Böse, die Wahrheit, die Zeit und die Romantik.

Safranski will keine Fach-Gelehrsamkeit ausbreiten, sondern Leser erreichen. Auch sein neues Hölderlin-Buch ist nicht für Germanisten geschrieben, nicht für „bloße Fachmenschen und Philister“ (Nietzsche). Er schildert lebhaft und textorentiert (an der Werkausgabe von Michael Knaupp) die Entwicklung von Leben und schriftstellerischem Werk des sensiblen, empfindsamen und verletzlichen Dichters, den in seiner Genialität dasselbe Schicksal wie den Maler van Gogh und den Philosophen Nietzsche erreicht. Im Tübinger Stift bildete Hölderlin mit Hegel und Schelling ein geistiges Trio, das die Parole „Reich Gottes“ ausgab, bevor jeder seine eigenen Wege ging. In Jena waren ihm dann Schiller und Fichte Leitsterne. Die privaten Verwicklungen bis zum Zusammenbruch, vor allem die unerfüllt bleibende Liebesbeziehung zur Frankfurterin Susette Gontard, seiner „Diotima“ im Hyperion-Roman, aber auch die auffallend enge Bindung zur Mutter, die aus ihm unbedingt einen Pfarrer machen wollte, werden einfühlsam geschildert. Lieblingsmitte des Hölderlinschen Werkes ist Safranski die große Elegie „Brod und Wein“. „Vaterland“ ist bei Hölderlin nicht völkisch, sondern mit der jeweils geliebten Region verbunden, ob Schwaben oder die Garonne. Er war kein Monarchist, sondern den Grundanliegen der französischen Revolution zugetan. Seine Welt ist aber nicht die wechselnde Politik, sondern die Offenheit des Himmlischen, das gelegentlich auch im Irdischen aufscheint: „Komm! ins Offene, Freund!“. Den geistigen Zusammenbruch nach der Rückkehr aus Bordeaux beschreibt Safranski ohne subjektivistische Thesen.

Besonders zu erwähnen ist das Schlusskapitel zur Hölderlin-Rezeption. Der Dichter war trotz Schillers Unterstützung vielen Zeitgenossen kaum bekannt. Der junge Nietzsche entdeckte ihn zuerst in seiner Kritik an den Deutschen (292), aber auch im nichtakademischen Umgang mit den Göttern Griechenlands. Zitat: „Nietzsches Entdeckung der dionysischen Grundkraft in der griechischen Kultur, des Elementaren, Wilden und Vitalen an ihr – das vollkommene Gegenbild also zu Winckelmanns Antike – ist nicht zuletzt auch angeregt worden von Hölderlins Antike“ (293). Erst nach der Jahrhundertwende setzt durch Wilhelm Dilthey und Norbert von Hellingrath eine Anerkennung ein. Von Hellingrath ediert Schriften Hölderlins, bringt seine Gestalt in den George-Kreis ein, spricht vom „Volk Hölderlins“ und vom „geheimen Deutschland“.

Martin Heidegger war ihm von Jugend an verbunden und floh sich nach dem gescheiterten Freiburger Rektorat zu ihm. Seine „Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung“ gehören zum Kern seines Werkes, von Hölderlin übernimmt er die Schreibweise „Seyn“. Während noch die psychiatrische Rezeption durch Michel Foucault Erwähnung findet, wird die intensive christliche Befassung mit Hölderlin leider übergangen. Hier wäre zuerst das zentrale Werk Romano Guardinis („Hölderlin. Weltbild und Frömmigkeit“, Leipzig 1939) zu nennen, aber unbedingt auch die Arbeiten Erich Przywaras („Hölderlin“, Nürnberg 1949), Eduard Lachmanns („Hölderlins Christus-Hymnen“, Wien 1951; „Der Versöhnende“, Salzburg 1966, wo auch die erst 1954 gefundene Hymne „Friedensfeier“, die viele Diskussionen auslöste, interpretiert wird) und Hans Urs von Balthasars („Herrlichkeit III,1: Im Raum der Metaphysik. Teil II Neuzeit“, Einsiedeln 1965, 644-682). Auch der Protestant Heinrich Buhr muss hier erwähnt werden.

Natürlich ist Safranski weder Germanist noch Theologe vom Fach, sondern ein genau recherchierender Schriftsteller mit besonderem Charisma der Einfühlung. Er trifft den Kern seines Protagonisten am Ende des gut lesbaren Buches mit dem Satz: „Doch er war vor allem – ein Priester der Poesie“ (307). Aber „die Götternacht, von der Hölderlin sprach, die gibt es wirklich heutzutage, hierzulande“ (ebd.) – auch wenn sie sich (etwa mit Jürgen Habermas) ein rational-„nachmetaphysisches“ Gewand anlegt.

Stefan Hartmann

Safranski, Rüdiger: Hölderlin. Komm! ins Offene, Freund! Biographie, Carl Hanser Verlag 2019, 335 Seiten, ISBN: 9783446264083

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.


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