Theologische Erkenntnislehre und nationalsozialistische Ideologie

Der hochqualifizierte Augsburger Dogmatiker Thomas Marschler hat nach einer Arbeit zum Braunsberger Kirchenrechtler Hans Barion (1899-1973) innerhalb eines größeren Forschungsprojektes, das viele Originaltexte zugänglich machte, auch eine große Biographie des damaligen Rektors der Braunsberger Theologischen Akademie, des Rheinländers und Rademacher-Schülers Karl Eschweiler (1886-1936), vorgelegt. Beide wurden 1934/35 wegen ihrer Nazi-Affinität, u.a. aufgrund eines Sterilisationsgutachtens, kurzzeitig vom Priesteramt suspendiert. Eschweiler, der ein enger Freund des umstrittenen Staatsrechtlers Carl Schmitt war, verstarb kurz danach 1936 an einer Nierenkolik als gläubiger Katholik und Parteimitglied der NSDAP. Er wurde am Krankenbett in Berlin von Kardinal Preysing besucht und versöhnte sich noch mit seinem ermländischen Bischof Maximilian Kaller.

Fair und exakt analysiert wird von Marschler nicht nur diese letzte politische Entwicklung, die sich auch aus theologischen Vorgaben erklärt, sondern auch der wichtige Beitrag Eschweilers zur theologischen Erkenntnislehre und zur Natur-Gnade-Thematik in seinem Aufsehen erregenden Werk „Die zwei Wege der neueren Theologie. Georg Hermes – Matth. Jos. Scheeben“ (Augsburg 1926). Der Thomist Eschweiler wendet sich darin u.a. gegen Rationalismus und jesuitischen Molinismus. Geschildert wird sodann die meist negative Rezeption von jesuitischer Seite, die dazu beiträgt, Eschweiler zu einem hartnäckigen Gegner der Jesuiten und der von Jesuiten dominierten Kurie zu machen. Im politischen Katholizismus sah er wie im Freimaurertum und Judentum einen Liberalismus, der die Botschaft des Glaubens aushöhle. Dagegen war ihm ab 1933 die nationalsozialistische Weltanschauung die „Natur“, auf der die „Gnade“ des übernatürlichen Glaubens aufbauen könne. Damit wäre das antimodernistische katholische Paradigma von der jesuitisch-kurialen Umklammerung befreit.

Eschweiler ist eine mehr als tragische und in seiner (die Kollegen Karl Adam, Michael Schmaus oder Joseph Lortz übertreffenden) Andienerei an die Hitler-Bewegung ärgerliche Priester- und Theologengestalt. Marschler hat durch die ausführliche Untersuchung seine Entwicklung nachvollziehbar und in gewissem Sinn verstehbar gemacht. Sicher war die mörderische Eliminierung 1936 noch nicht absehbar, aber „seinem Reden und Handeln nach 1933 haftet etwas nicht zu Erklärendes und letztlich auch nicht zu Entschuldigendes an. Es wird darin eine intellektuelle Korrumpierbarkeit priesterlicher und theologischer Existenz erkennbar, die nachdenklich und traurig stimmt“ (376). Diese Gefahr ist sicher auch in der Gegenwart in anderer Weise gegeben. Die umfangreiche Arbeit verfügt über einen hilfreichen wissenschaftlichen Apparat, als „Anhang“ Bilder Eschweilers und einen persönlichen „Traum-Brief“ an einen Freund über eine ersehnte „glückliche Ehe zwischen dem deutschen Volksstaat und der katholischen Kirche“ (380).

Stefan Hartmann

Marschler, Thomas: Karl Eschweiler (1886 – 1936). Theologische Erkenntnislehre und nationalsozialistische Ideologie, Pustet 2011, 428 Seiten, (= Quellen und Studien zur neueren Theologiegeschichte 9), € 44,- ISBN: 9783791723204

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