Zeugnis für Weg, Wahrheit und Leben in Jesus Christus und der Kirche
Unter dem Titel „Wahrheit – die DNA der Kirche“ hat der bekannte katholische Journalist und Buchautor Martin Lohmann, der in meinungstoleranteren Zeiten auch öfter in Talkshows des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu sehen war, zusammen mit dem in Rom wohnhaften Theologen und Kardinal Gerhard Ludwig Müller ein spannendes und umfangreiches Gesprächsbuch herausgebracht, das die über den ehemaligen Präfekten der Glaubenskongregation (2012-2017) grassierenden Klischees je nach Standpunkt widerlegt oder bestätigt. Der Titel nimmt indirekt Bezug auf ein unglückliches und provozierendes Wort des Hildesheimer Bischofs Heiner Wilmer, der von klerikalem Machtmissbrauch als „DNA der Kirche“ sprach.

Dass profilierte Kirchenvertreter ihre Ansichten über ein Interviewgespräch kundtun, ist nicht neu. Kardinal Jean-Marie Lustiger, Kardinal Robert Sarah und Kardinal Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. bedienten sich dieser Form, die oft mehr Aufmerksamkeit fand als einzelne Bücher der Betreffenden. Als das Gespräch Ratzingers mit Vittorio Messori „Zur Lage des Glaubens“ („Rapporto sulla fede“) 1985 erschien, hat es heftige Diskussionen und klärende Auseinandersetzungen gegeben. Nachdem sich die Lage für Glaube und Kirche gerade in Deutschland noch verschärft hat, ist dies auch für das neue Buch von Lohmann und Kardinal Müller zu erwarten. Obwohl 2017 Müllers Amtszeit aufgrund persönlicher Differenzen mit Papst Franziskus nicht verlängert wurde, hat sich der gebürtige Mainzer und ehemalige Bischof von Regensburg (2002-2012) nicht in einen Ruhestand begeben, sondern sich immer wieder theologisch oder kirchenpolitisch zu Wort gemeldet. Kontroverse und loyale Äußerungen sind für ihn dabei kein Widerspruch. So fehlt auch nicht ein „Lob für Franziskus“ (196).
Das Gespräch mit Lohmann beginnt sehr persönlich und sympathisch mit „Herkunft und Gaube“, sowie „Studium und Theologie“. Der Schüler des Mainzer Kardinals Karl Lehmann, bei dem er promovierte und sich habilitierte, ist theologisch keineswegs ein „konservativer Traditionalist“, sondern mit allen berechtigten Wegen moderner Theologie von Dietrich Bonhoeffer bis Karl Rahner vertraut. Der südamerikanische Befreiungstheologie Gustavo Gutierrez ist ein persönlicher Freund, den er oft in Peru besucht hat und mit ihm zwei Bücher herausgab. Auch moderne Denker wie Jürgen Habermas oder Volker Gerhardt werden argumentativ einbezogen. Gegen rechte Tendenzen hat Müller auch schon an einer Straßendemo teilgenommen, den Piusbrüdern Marcel Lefebvres ist er wegen seiner kompromisslosen Konzilstreue ein Dorn im Auge.
Bischöfe der Kirche sind als Hirten, Stellvertreter Christi und Nachfolger der Apostel zu einem Bekenntnis für den „realen Anspruch der Wahrheit“ (106) aufgefordert, nicht zur Anpassung an den Relativismus des Zeitgeistes. Müllers Worte und theologische Präsenz reizen den Mainstream-Flügel des deutschen Katholizismus, der seit Dezember 2019 mit einer „Synode“ eigene Wege gehen will und statt einer echten Reform an „Haupt und Gliedern“ immer mehr einer Verweltlichung von Glaube und Kirche zuneigt. Er spricht von „synodaler Sackgasse“, einem „Irrweg“ (141), und kritisiert die Instrumentalisierung des abscheulichen Missbrauchsskandals, um Forderungen nach Aufhebung des Priesterzölibates, Frauenweihe und Änderung der Sexualmoral zu verstärken.
Das auch von Papst Franziskus öfter gebrauchte Wort vom „Klerikalismus“ weist Müller als eine Priester entmutigende „Globalanklage“ (113) und missverständlichen „Kampfbegriff“ zurück. Der „Wert des Zölibates“(152) steht für ihn nicht in Frage. Die Instruktion der Kleruskongregation zur Gemeindeleitung durch Pfarrer ist ihm eine katholische Selbstverständlichkeit. Müller staunt in diesen Zusammenhängen, „was Bischöfe so alles denken und dann noch sagen“ (108). Der vom Konzil gebotene Dialog mit Vertretern anderer Religionen darf nicht die Sendung durch Christus vergessen lassen.
Das Gespräch zwischen Lohmann und Müller widmet sich auch ausführlich dem Thema Liturgie und Schönheit des Glaubens, der Existenz der einen Kirche in der einen Welt, der Ökumene und dem Zueinander von Glauben und Vernunft. Das Lutherjubiläum 2017 war keine ökumenische „Sternstunde“ (229). Klartext spricht Müller auch zu den Themen Ehe- und Sexualmoral. Eine „Ehe für alle“ widerspreche dem Schöpfungswillen, ebenso die klerikale Segnung homosexueller Partnerschaften. Der Schutz des Lebens vom vorgeburtlichen Anfang bis zum Ende ist ein Fundament christlicher Ethik. Wenige katholische Laien haben sich so intensiv und klug dafür eingesetzt wie sein Interviewer Martin Lohmann. Eine Selbsttötung ist nie ein Akt der Freiheit (306).
Viele weitere Themen, die das christliche Gewissen betreffen, werden angesprochen und souverän beantwortet, auch das Petrusamt als „Fundament und Fels“ (283) der Kirche und der Einfluss der Corona-Pandemie auf das Glaubensleben (311). Das Gesprächsbuch mit oft traurigen Akzenten endet zuversichtlich mit „Perspektiven der Freiheit“ (319): es gäbe keinen Grund zur Resignation, die Schönheit des Glaubens mache immer wieder „Lust, katholisch zu sein“. Denn Christus ist die DNA-Wahrheit der Kirche. Seine „Wahrheit befreit“ (Joh 8,32) zur Liebe, die sich „freut an der Wahrheit“ (1 Kor 13,6). Man kann dem Publizisten mit dem Motto „Veritas liberabit vos“ und dem Bischof/Kardinal mit dem Leitspruch „Dominus Jesus“ nur zutiefst dankbar sein für diesen mutigen und ausführlichen kirchentheologischen Zwischenruf, der hoffentlich Gehör findet und auch ganz im Geiste und Erbe des von beiden Gesprächspartnern verehrten emeritierten Papstes Benedikt XVI. mit dem bischöflichen Wahlspruch „cooperatores veritatis“ erfolgt.
Vielleicht findet sich ein Sponsor, der den deutschen Bischöfen und den Frankfurter Synodalen ein Freiexemplar zukommen lässt, damit sie der Inhalt und nicht nur der mediale Wirbel des Buches erreichen kann. Es ist in der Kirchengeschichte nie zu spät für Umkehr und Neubeginn.
Stefan Hartmann
Lohmann, Martin / Müller, Gerhard Ludwig: Wahrheit. Die DNA der Kirche, ein Gespräch. fe-Verlag 2020, 340 Seiten, € 19,80 ISBN: 978-3863572778

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