Kirche und Regime

Die Momentaufnahme des Umschlagbildes könnte entweder den Opfergang der Katholischen Kirche im Dritten Reich versinnbildlichen, einen Gleichschritt der verschwiegenen Mittäterschaft suggerieren oder auch die Entschlossenheit, den Feinden des Kreuzes entgegenzutreten. Die Katholische Kirche im Dritten Reich ist Gegenstand der Geschichtsdeutung. Sie steht damit im Kreuzfeuer der Kritik. Besondere Wendepunkte drängen sie bisweilen mit dem Rücken zum Schicksal. Mit dem in 2. Auflage erschienen Leitfaden vertreten die Herausgeber die Absicht, eine konzise und lesbare Einführung bereitzustellen, in der Gewissheit, eine ausführliche Darstellung mittels dieser knappen Übersicht keineswegs ersetzen zu können. In chronologischer Reihenfolge behandeln zehn Beiträge das wechselvolle Verhältnis zwischen Kirche, Republik und Diktatur, deuten sie in neuer Perspektive in politischer, gesellschaftlicher und kultureller Hinsicht.

Titelbild: Kösters, Ruff: Die katholische Kirche im Dritten Reich

Beginnend im chaotischen Interregnum der Weimarer Republik, dem Aufstieg des Nationalsozialismus zur etablierten Partei spannt sich der Bogen über die NS-Religionspolitik, den christlichen Widerstand bis zu Pius XII. sowie der Entnazifizierung und der Schuldfrage. Alle Beiträge sind vom Umfang her ausgewogen und überzeugen mit aktueller Forschungsliteratur, zum Teil mit Akten vatikanischer Archive, die erst seit kurzem der Öffentlichkeit zugänglich sind. Auf Basis dieses Wissens vermag Rudolf Morsey die zu lesende Behauptung falsifizieren, das Placet der Zentrumspartei zum Ermächtigungsgesetz sei Preis für den Staatskirchenvertrag gewesen.

Objektiv nähert sich Michael Kißener der christlichen Widerstandsthematik, die er als Amalgation (70) zwischen Kapitulation und Konfrontation, bisweilen als „Milieuegoismus“ (67) charakterisiert. Die anfängliche Reserviertheit und offen-verhaltene Ablehnung der Kirche liegt in den traumatischen Erfahrungen während des Kulturkampfes begründet. Auch die pragmatische Distanz zur säkularen Republik resultierte aus religiösen Denkmustern, die einerseits provinzielle Vereinnahmung verhindern, andererseits nationale Treue garantieren sollten. Die Mutation des Krieges zum Vernichtungskampf befreite die Bischöfe jedoch von den Resten religiöser Spiritualisierung des Kriegsdienstes, wenngleich die kulturellen und theologischen Ambivalenzen zu den jüdischen Mitbürgern die bischöfliche Wahrnehmung trübten. Spätestens mit der sukzessiven Aushöhlung des Konkordats und dessen offenem Bruch waren Teile der Kirche zur Salzsäule erstarrt, zum Sakristeichristentum verkommen.

Trotzdem leisteten Klerus und Laien jenseits von Eingabepolitik und medialer Berichterstattung Hilfe und Widerstand. Das Konkordat, das vor dem Austritt aus dem Völkerbund, dem Aufbau der Wehrmacht, der Besetzung des Rheinlandes, der Entsendung der Legion Condor sowie vor Anschluss und Sudetenkrise geschlossen wurde, verbot der Kirche eine politische Beteiligung. Der Rassensyllabus vom 3. Mai 1938 – Hitler war justament an diesem Tag in Rom zu Besuch – sowie der Hirtenbrief über die „Zehn Gebote als Lebensgesetz der Völker“ vom September 1943 bezeugen das Ringen des Episkopates um die moralische Frage nach Recht, Gerechtigkeit und Naturrecht.

Die letzten beiden Artikel behandeln die Entnazifizierung ebenso wie die Schuldfrage und erläutern, dass im Zuge der Entnazifizierung auch Mitläufer und politische Gegner abserviert wurden, womit ein Zerrbild der Demokratie entstand und vor allem eine Destabilisierung der Gesellschaft drohte. Ab 1951/1952 setzte unter den Vorzeichen des Kalten Krieges eine Welle der Begnadigung ein, die paradoxerweise eine abgekapselte Subkultur von Ewiggestrigen verhinderte. Nach der Epoche des kollektiven Beschweigens rückte die Schulddiskussion mit dem Tod Pius’ XII. und dem Theaterstück Hochhuths ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Ob der „Theaterpapst als literarische Kunstfigur“ die Wirklichkeit faktengerecht abzubilden vermag, stellt Karl-Joseph Hummel am Ende seines Artikels in den Raum. Mit der Auswertung von Quellen für die Kriegsjahr 1939-1945, die bald der Forschung zur Verfügung stehen, wird gezeigt werden, ob die These vom schweigenden Pius belegbar ist oder ob der Papst mit seinem Konzept „Retten statt Reden“ mehr Juden das Leben gerettet hat „als irgendein anderer Staatsmann oder Vertreter einer humanitären Institution“.

Der Sammelband schließt mit einem umfangreichen Bildteil, einer Zeittafel, Kartenmaterial, weiterführender Literatur jüngeren Datums sowie einem ausgiebigen Personenregister.

Florian Mayrhofer

Kösters, Christoph / Ruff, Mark Edward: Die katholische Kirche im Dritten Reich. Eine Einführung, Herder 2018, 224 Seiten, € 22,- ISBN: 9783451387005

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert