Christlich-jüdischer Dialog

Walter Kardinal Kasper ist neben Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. der führende katholische Theologe der Gegenwart und kann auf ein großes Werk zurückblicken. Er stand im Vertrauen der Päpste und war von 2001-2010 als „Ökumene-Kardinal“ Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen und der religiösen Beziehungen zum Judentum. Nun hat er aus dieser Zeit einige Artikel, Vorträge und Referate zum internationalen Dialog zwischen Juden und Christen gesammelt vorgelegt und seinen „jüdischen Freunden in tiefer Verbundenheit gewidmet“.

Vorangestellt ist ein neuer etwas längerer Aufsatz „Juden und Christen – Neuanfang nach der Katastrophe der Schoah“, der der oft verwirrenden Geschichte des jüdisch-christlichen Verhältnisses nachgeht. Der Artikel ist fast lexikalisch und sieht die Tragik der Substitutionstheorie, nach der die Kirche Israel als Heilsgemeinde abgelöst habe. Dies war zwar nicht offizielle Kirchenlehre, aber hat das Bewusstsein der Christen seit Tertullian und vielen Kirchenvätern lange antijudaistisch bestimmt. Erstaunlich ist im Mittelalter die neue Sicht bei den Zisterziensern, bei Hildegard von Bingen, Hugo von St. Viktor und besonders Thomas von Aquin. Aber erst die Katastrophe der Schoah hat zu einem radikalen Umdenken geführt. Die Zusammenarbeit von Papst Johannes XXIII., Kardinal Augustin Bea und dem jüdischen Gelehrten Jules Isaac führte auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil mit der Erklärung „Nostra aetate“ zu einem brüderlichen Neuanfang. Auch der Gedanke der „Judenmission“ wurde nun endgültig verabschiedet, so dass nach der Vatikanerklärung „Wir erinnern. Eine Reflexion über die Schoah“ (1998) im Jahr 2000 die versöhnliche Rabbiner-Erklärung „Dabru emet – Redet Wahrheit“ erfolgen konnte.

Im Blick auf die Reichspogromnacht 1938 warnt Kasper vor Gleichgültigkeit und jeder Art von Antisemitismus. Juden und Christen stehen „Schulter an Schulter“ (91) und sind zur Verantwortung vor Gott gerufen. Christen müssen erinnernd die „Last der Geschichte annehmen“ (88). Juden und Christen bilden kein altes oder neues Volk Gottes, sondern gemeinsam das „eine Volk Gottes“ (143), das unterschiedlich auf den einen Bundesgott antwortet. Brisant bleibt die Frage nach dem nach der Schoah neu entstandenen Staat der Juden, dessen Existenzrecht für Christen unumstritten ist. Bleibende Trennungen werden nicht überspielt, was besonders der abgedruckte faire Briefwechsel mit Hanspeter Heinz vom Gesprächskreis „Juden und Christen“ des ZdK aus dem Jahr 2005 zeigt. Die zunächst einige irritierenden Gedanken „Gnade und Berufung ohne Reue“ (2018) des emeritierten Theologenpapstes Benedikt XVI. werden von Kasper vor Missverständnissen geschützt. Das Randthema „Karfreitagsfürbitten“ ist ausgespart. Während Martin Buber in Jesus seinen „großen Bruder“ sah und die Rede vom „Juden Jesus“ (Walter Homolka) selbstverständlich geworden ist, kann auch künftig von beiden Partnern des Dialoges mit Shalom Ben-Chorin gesagt werden: „Der Glaube Jesu eint uns, der Glaube an Jesus trennt uns“.

Das ist im 21. Jahrhundert keine Feindschaft mehr, sondern ein friedliches Zusammensein im gemeinsamen Erbe als Zeichen für das Wohl, das Heil und die Versöhnung der gesamten Menschheit. Ähnliches hatte schon Paulus in Röm 9 vor Augen. Kaspers lehrreiches Buch gibt verlässliche Orientierung.

Stefan Hartmann

Kasper, Walter: Juden und Christen. Das eine Volk Gottes, Herder 2020, 160 Seiten, ISBN: 978-3451396199 € 24,-

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

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