Theologenbiographie zu Bonhoeffer

Angesichts einer Überfülle von Biographien über Dietrich Bonhoeffer potenzieren sich die Erwartungen, wenn der federführende Mitherausgeber der historisch-kritischen Neuauflage von Bonhoeffers Werken ein neues Buch auf den Markt bringt. Wolfgang Hubers Intention ist es, ein Porträt, eine spezifische Perspektive des im KZ ermordeten lutherischen Theologen herauszubilden.

Titelbild Dietrich Bonhoeffer - Auf dem Weg zur Freiheit

Der Berliner Professor rückt das unvollendet-wirkmächtige Denken Bonhoeffers in den Fokus seiner prägnanten Betrachtung und beleuchtet sohin tragende Gewissheiten des Glaubenszeugen, um Veränderungen in seinem Denken nachvollziehen zu können.

Bei kaum einem anderen Theologen ist die Einheit von Via und Vita, von Lebensgeschichte und Denkweg, von Theologie und Biographie so intensiv verwoben wie bei Bonhoeffer. Ethisches Denken steht bei Bonhoeffer immer in Korrelation mit konkreten Situationen. Dies führt dazu, dass Theologie und Ethik sich unter politischen bzw. gesellschaftlichen Umständen ändern können und müssen. Lebendig wird dieses Axiom im Juni 1939 kurz nach der „Machtergreifung“, als dem jungen Theologen in New York eine Pfarrstelle angeboten wird, auf die er jedoch verzichtet. Bereits 1933 konnte Bonhoeffer für zwei Jahre als Auslandspfarrer in London einen Blick hinter die Kulissen des Nationalsozialismus werfen.

Für den Dichter und Kirchenpolitiker stellte die Bergpredigt immunisierende Arznei gegen den Totalitarismus der NS-Diktatur bereit. Besondere Aufmerksamkeit erregt dabei der spannungsvolle theologische Begründungsversuch des Hitlerattentats vom 20. Juli 1944, die Legitimierung eines Tyrannenmordes, sowie die existenzielle Verzahnung von christlichem Pazifismus und dem theologischen Profil des Widerstandes. Huber verweist hierbei auf die literarische Hinterlassenschaft, zumal die Schlüsseltexte des „Ausnahmetheologen“ nur unter diesen Bedingungen entstehen konnten. Bonhoeffers Ethik sowie Widerstand und Erhebung verdeutlichen abermals den Konnex zwischen Lebenszeugnis und theologischem Denkmuster.

Im zehnten der zwölf Abschnitten widmet sich Huber der Religionskritik des Theologen. Im Gefolge von Karl Barth unterscheidet Bonhoeffer zwischen Religion und Christentum. Seine These vom Ende der Religion bzw. der völlig religionslosen Zeit, die er bruchstückhaft kurz vor seiner Hinrichtung formuliert hatte, ordnet Huber in die theologische-historischen Parameter. Mit zunehmender Dramatik formt Bonhoeffers Denken immer strengere Leitwege. Huber beruft sich dabei auf seinen Kasseler Forscherkollegen Christian Gremmels und dessen Sprachfigur der „situativen Verschärfung“. Provokant formuliert Boenhoeffer: „Nur wer für die Juden schreit, kann auch gregorianisch singen“. Oder noch schärfer: „Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.“ Als Bonhoeffer später in Gefangenschaft und Einsamkeit die Ausschließlichkeit leibhaftig erleiden musste, inspirierte ihn dieser Umstand zu seiner vielzitierten spirituellen Hymne.

Wolfgang Hubers Bonhoeffer-Darstellung ist keine Lebensgeschichte im herkömmlichen Sinn. Der Autor bereichert den Buchmarkt mit einer „theologische Biographie“. Vervollkommnet wird das Porträt mit einer Zeittafel, einem umfangreichen Literaturverzeichnis und dem detaillierten Personenregister.

Florian Mayrhofer

Huber, Wolfgang: Dietrich Bonhoeffer. Auf dem Weg zur Freiheit, ein Porträt. C.H. Beck 2019, 336 Seiten, € 27,95 ISBN: 9783406731372

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

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