Wider den Halbgott Hitler

Mit der vereinnahmenden Typisierung Münchens als „Hauptstadt der Bewegung“ etablierte der Nationalsozialismus einen Mythos, der nicht nur seine Gründungsväter überlebte, sondern vielfach unreflektiert im historischen Sprachgebrauch weiterlebt. München dagegen als „Hauptstadt der Gegenbewegung“, als Zentrum des Widerstandes darzustellen, gelingt dem emeritierten Ordinarius für Neuere Geschichte in akribisch, präziser und zugleich leicht lesbarer Form. Wenngleich das Entsetzen bestehen bleiben muss, dass in einer Stadt mit 80 % Katholiken eine das Evangelium pervertierende Ideologie Fuß fassen konnte, darf dieser beschämende Fakt keineswegs über den vorbildlichen Kampf von Politikern, Journalisten, Intellektuellen und Geistlichen der Münchner Katholiken hinwegtäuschen.

Peter Claus Hartmann benennt in seiner 2019 erschienenen Publikation eine Reihe katholischer Laien und Kleriker, deren Biographie eng mit katholischen Studentenverbindungen verwoben war. Ausgehend vom politischen Tohuwabohu der postmonarchischen Ära zeichnet Hartmann den Kampf gegen den “Halbgott Hitler” anhand von konkreten Personen nach. Die zumeist korporierten Minister und Lokalpolitiker, allen voran Innenminister Karl Stützel – er verhängte 1925 ein Redeverbot gegen Adolf Hitler -, quittierten ihren Dienst nach der Machtergreifung mit Haft oder Misshandlung, etliche landeten in den Politikerbaracken der KZs. Neben dem christlich geordneten Regierungsapparat stellte das katholische Pressewesen gewissenhaft Stolpersteine auf, um den Weg zur Nazi-Diktatur zu vereiteln. Fritz Gerlichs wortgewaltiger „Gerader Weg“ erreichte bisweilen eine Auflage von 100.000 Exemplaren und bezeugt mit seiner zum Teil überzogenen Polemik ein Paradebeispiel christlich motivierter Zivilcourage. Von Interesse ist hierbei Hartmanns Verweis der Mystikerin Theresa von Konnersreuth auf den konvertierten Publizisten.
Das Hauptaugenmerk der Publikation fokussiert den kirchlichen Widerstand unter Kardinal Faulhaber, den der Orden, hier besonders der Münchner Jesuiten, von denen 87% mit dem Regime in Konflikt gerieten.
Hartmanns prägnante und beispielhafte Geschichte des katholischen Widerstands ist historisch mit 280 Fußnoten faktenreich belegt und spiegelt mit Quell- und Literaturverzeichnis den aktuellen Forschungsstand wider, der anfangs kursorisch beleuchtet wird. Am Ende der Lektüre entpuppt sich der zweifelhafte Ehrentitel „Hauptstadt der Bewegung“ als geschichtsrevisionistischer Versuch mit Nachgeschmack. Es ist der NS-Propaganda, zumal ihrer Münchner Baukulisse, geschuldet, die eine metonyme Fiktion über die Realität zu stülpen vermochte. Paradoxerweise sollte sich die Rückseite des Ehrenmals für die getöteten Putschisten an der Feldherrnhalle bewahrheiten: Das Opfer des katholischen Widerstands war nicht umsonst. Sie haben doch gesiegt.

Florian Mayrhofer

Hartmann, Peter Claus: Kampf und Widerstand. Münchner Katholiken gegen Hitler 1922-1945, Schnell & Steiner 2019, 181 Seiten, € 18,- ISBN: 9783795434052

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

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