Der letzte Feind des globalen Fortschritts?
Giuseppe Gracia begibt sich als katholischer Romancier immer mehr in die verheißungsvolle Nachfolge von Graham Green. In seinem sechsten Roman spielt erstmals die römisch-katholische Kirche eine führende Rolle. Dabei zeichnet der Pressesprecher des Bistums Chur in thrillerartiger Façon, jedoch mit mehr Wahrheitsgehalt und Substanz als der Feder Dan Browns je entspringen könnte, sowohl futuristische Episoden als auch eine zeitgenössisch-kritische Gesellschaftsanalyse: Die global agierende und christophobe NGO „Humanitarian Foundation“ versucht, Weltpolitik im Gleichschritt ihres utpoischen Rhythmus vorzugeben.

Ziel ist nichts weniger als die Konstruierung eines neuen babylonischen Turms im digitalen Ausmaß. Um dessen Fundamente zu setzen, müssen die Architekten der neuen Menschheit zuvor den anstößigen Eckstein der Erbsünde beseitigen. Allein der von Offenbarung und Gott erlöste Mensch soll als freie Verfügungsmasse auf das Fundament gepflanzt werden. An dieser Stelle trifft der Schweizer Autor mit spanisch-sizilianischer Abstammung den Nerv der Zeit und stellt die Frage, ob auf Basis einer selbsterlösenden Lebensweisheit, einer sich selbst digital-optimierten Gesellschaft Freiheit und Menschlichkeit erhalten bleiben kann.
„Der letzte Feind“ begleitet unter anderem vier Hauptakteure. Die Purpurträger Feuerbach und Settaviani, einen atheistischen Journalisten sowie Alexander Martens, seines Zeichens Leiter der berüchtigten NGO. Als religionskritischer Archetyp und technozentrierter Weltoptimierer verkörpert die katholische Kirche für diesen Protagonisten ein zu überwindendes patriarchales Machtkonglomerat und somit den ersten und letzten Feind des globalen Fortschritts. Um diesen letzten Widersacher zu entmachten, schrecken die selbsterschaffenen Aufklärer vor keiner Tat und Intrige zurück.
Mit der Figur Pius XIII. führt der Autor die transformierende „Kraft der Tradition“ auf das literarische Parkett. Doch bevor es dem Pontifex vergönnt ist, die prophetische Stimme der Kirche erklingen zu lassen, ist er durch den vorherrschenden institutionellen Narzissmus gezwungen, zuerst in den eigenen Reihen für Ordnung zu sorgen. Auch hier berühren sich Fiktion und Realität, innerkirchliche Nebelschau und erlösender Sendungsauftrag. Pius XIII. versucht, den Sog der Totalverwertung menschlichen Lebens seiner Kraft zu berauben. Ein Kampf, der auch zwischen den Bänken des Dritten Vatikanischen Konzils ausgetragen werden wird.
Gracia staffiert in seinem kirchlichen Debütroman eine bedrohliche Kulisse. Ohne in das Lager von Verschwörungstheoretikern abzudriften (der Autor publiziert unter anderem in hochkarätigen Printmedien wie der NZZ), thematisiert der 255 Seiten starke Thriller die aufkeimende Bedrohungen des 21. Jahrhunderts: falsche Apostel und (Un-)Heilspropheten, die sich anschicken, im mystisch verbrämten Kostüm ihre Agenda durchzupeitschen. Der Kampf zwischen Technikgläubigkeit und Christentum, zwischen Humanismus und globaler Totalverwertung des Menschen besticht in seiner Ausdrucksstärke und Erzählkunst.
Florian Mayrhofer

Gracia, Giuseppe: Der letzte Feind. Roman, Fontis-Verlag 2020, 255 Seiten, € 18,- ISBN: 978-3038481966
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