Zankapfel der Konfessionen
Der reformierte Hagiograph Walter Nigg titulierte das schweizerische Nationalidol Niklaus von Flüe als „Zankapfel der Konfessionen“ und demonstriert damit dessen Vehikelfunktion religiös-politischer Überzeugungen. Fritz Gloor erhebt im vorliegenden Band keinen Anspruch auf eine historische Biographie, vielmehr beleuchtet der reformierte Theologe die 500-jährige Rezeptions- und Wirkungsgeschichte des Mystikers aus reformierter Perspektive. Dabei erhellen sich die konfessionellen Deutungsmuster jenseits der Glaubensgrenzen, die Bruder Klaus entweder als katholischen Heiligen oder als zivilreligiösen Visionär ins Rampenlicht stellen. Beginnend mit der Reformation bis ins 20. Jahrhundert sollte das Wasserzeichen des jeweiligen Bruder-Klaus-Bildnisses von der konfessionellen Zweiteilung der Eidgenossenschaft aufgeprägt werden.

Dies hatte zur Folge, dass der Einsiedler vom Ranft katholischerseits als eucharistischer Heiliger, Prophet und Menetekel der Glaubensspaltung postuliert, indessen von reformatorischer Seite primär seine innerpolitische Einheitsbestrebung akzentuiert wurde. Gloor geht ebenfalls der Frage nach, warum Bruder Klaus bei Zwingli und Luther auf verstärktes Wohlwollen gestoßen ist, welches Echo der „Goldene Bund“ und die Biographien der Jesuiten als „Speerspitze der katholischen Reform“ auf die Rezeptionsgeschichte hervorriefen. Die kontroverse Diskussion über die Nahrungslosigkeit des Einsiedlers korrespondiert dabei mit dem strittigen Eucharistieverständnis der Konfessionen und wirkte bis in die bildende Kunst der damaligen Zeit. So erscheint Bruder Klaus auf einem reformierten Gemälde als Vermittler zwischen divergierenden Kantonen, mitunter in einem relativierenden Gestus, wohlgemerkt mit festem Schuhwerk, „Labeflasche“ anstatt der Gebetsschnur und feinem Wollgewand.
Erst der Zweite Kappelerkrieg (1531) und die daraus resultierende katholische Hegemonie der Eidgenossenschaft sowie das Konzil von Trient und die jesuitische Deutungshoheit bereiteten der Kontinuität evangelischer Erinnerungskulturen ein freiwilliges Ende. Dieser Umstand verfestigte sich zunehmend anhand der politischen Vereinnahmung des Einsiedlers nach dem Toggenburgerkrieg, der mit dem Sieg der Reformierten endete und eine Reform der politischen Verhältnisse mit sich brachte. Auf die Kanonisierung im Jahre 1944, die als Aufruf zur Rekatholisierung der Schweiz interpretiert werden konnte, folgten nicht nur die „bissigen Kommentare“ Karl Barths, langatmige Diskreditierungen in den Printmedien („trojanisches Pferd des politischen Katholizismus“), sondern auch Niggs neue Schau der Heiligen in „unheimlicher Fremdheit und geheimnisvoller Nähe“. Niggs breitenwirksame Schriften fanden auf beiden Konfessionsseiten großen Zuspruch und öffnete den Weg zu einer neuen ökumenischen Erinnerungskultur, deren Feder der Dominikaner Heinrich Stirnimann 1981 in seiner theologischen Untersuchung „Der Gottesgelehrte Niklaus von der Flüe“ weiterführte und sich dadurch als einer der wichtigen Wegbereiter und Architekten der Ökumene in der Schweiz einen Namen machte.
Gloor versucht abseits katholischer Tradition auf Spurensuche zu gehen und beleuchtet damit ein Stück Konfessionsgeschichte, zum Teil mit erstmals zusammenhängenden Quellentexten. Speziell aus diesem Grund ist das fehlende Literaturverzeichnis ein unglückliches Manko, obgleich der umfangreiche Anmerkungsapparat dazu animieren würde. Die Studie schließt mit dem Gedanken, dass „unsere menschliche Erleuchtungsbedürftigkeit so wenig an konfessionelle Grenzen gebunden ist wie die Hoffnung, dereinst mit Bruder Klaus gemeinsam der ewigen Freude teilhaftig zu werden.“
Florian Mayrhofer
Gloor, Fritz: Bruder Klaus und die Reformierten. Der Landesheilige zwischen den Konfessionen, Theologischer Verlag Zürich 2017, 135 Seiten, € 23,90 ISBN: 9783290178918

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