Ein Leben ohne Kompromisse
Das Buch beschreibt den Lebensweg der Belgierin Julia Verhaeghe (1910–1997) im besonderen Zusammenhang mit dem 1938 von ihr gegründeten „Werk‟, das heute Priester, Laien, geweihte Brüder und Schwestern umfasst. Hier liegt einerseits die gründliche Darstellung vom Lebensweg einer geistlichen Gründungsgestalt vor, andererseits der Bericht über die Entstehung einer Gemeinschaft.

In Verhaeghes geistlichem Profil sind die Aspekte der Brautschaft und der geistlichen Mutterschaft besonders prominent. Ihr Lebenswerk hat sie im jungen Alter 1938 mit dem Diözesanpriester Hillewaere privat gegründet. Es wurde 1959 als „pia unio‟ anerkannt und avancierte im Laufe der Jahr zur päpstlichen Anerkennung im Jahr 2001. Die erste Niederlassung der Bewegung außerhalb Belgiens war in Innsbruck, später folgten viele weitere, u.a. in Bregenz, wo heute ein Zentrum besteht und das Grab des vielleicht berühmtesten Mitglieds der Bewegung, Leo Kardinal Scheffczyk, sich befindet. Dieser hat sich in seinem 2005 veröffentlichten Aufsatz „Begegnung mit Mutter Julia‟ deutlich zu ihrem Erbe bekannt. Die Frömmigkeit des Werkes, die für diverse Stände und Ziele eingerichtet ist und kirchengeschichtlich ein Novum darstellt, ist paulinisch, unterstreicht die Liebe zur Kirche, zum Heiligen Land und zur Mission. Eine immer wieder auftretende Verehrung der Dornenkrone Jesu zeichnet die Gemeinschaft bis heute aus, nicht zuletzt in der liturgischen Gewandung der Schwestern, die im Chor tatsächlich eine Dornenkrone tragen. Das Werkzeug der Verhöhnung Jesu war für Verhaeghe ein Symbol der Treue zu den Prinzipien ihrer Berufung, zu einem „reinen Glauben‟ und einem Leben „ohne Kompromisse‟ (53).
Im Buch werden überdurchschnittlich viele persönliche Quellen zitiert, vor allem Briefe und Gespräche von Personen im Kreis um Verhaeghe. Der Aspekt der Kirchlichkeit leuchtet dabei auf: für Mutter Julia war der Corpus Christi mysticum von größter Bedeutung, es ist wohl das Fundament ihrer Berufung gewesen und übertrug sich folglich als Charisma auf die geistliche Familie. In diesem Leib sind auch verlorene und zu rettende Seelen eingeschlossen.
Zu den Seltenheiten in Verhaeghes Leben gehört eine richtungsweisende innere Begegnung mit Papst Pius XII.. Am 31. Okt. 1958, drei Wochen nach seinem Tod, ist der Pontifex der 48-jährigen Belgierin erschienen (37). Die andauernde Verehrung des Pacelli-Papstes drückt Mutter Julias Ehrfurcht vor dem Petrusamt aus, die heute manchen Lesern als kaum mehr nachvollziehbar erscheinen mag. Ihre Faszination mit Pius XII. hatte zur Folge, dass Verhaeghe Kontakt zur Haushälterin Pacellis pflegte, der bayerischen Ordensfrau Pascalina Lehnert, mit der die Gründerin sogar im Buch abgebildet ist (168).
Das 288 Seiten umfassende Porträt besteht aus vier Hauptteilen, die jeweils zwischen vier und sieben Abschnitte beinhalten. Diese sind meist um die 10 Seiten lang, so dass ein wohltemperierter Lese-Rhythmus daraus entsteht. Im Durchschnitt kommt alle zwei Seiten eine s/w-Abbildung von „Mutter Julia‟ und ihrer geistlichen Familie. Das Buch schließt mit einer Chronik der Jahre von 1910 bis 2001 (281–287).
Der Verfasser, Hermann Geißler FSO, Jahrgang 1965, ist Absolvent der Hochschule Heiligenkreuz und wurde von der päpstlichen Lateranuniversität zum Doktor der Theologie promoviert. Er gehört dem „Werk‟ seit 1988 an und wirkte 1993–2019 als Mitarbeiter der Glaubenskongregation. Heute ist er Direktor eines Zentrums zur Erforschung der Werke von Kardinal Newman. Freilich ist bei der Lektüre mit einem grundlegenden Lokalpatriotismus des Verfassers zu rechnen; Geißler ist selber ein Teil der Geschichte, die er beschreibt. Eine Abbildung zeigt ihn sogar als Seminarist auf Besuch in Rom (199).
Die Studie ist in einer leicht zugänglichen Sprache verfasst, dennoch mit Hunderten von Fußnoten dokumentiert. Die zitierten Quellen sind überwiegend (vielleicht sogar ausschließlich) dem Werk gegenüber positiv eingestellt. Im fe-Verlag erschienen, positioniert sich das Buch eindeutig im Bereich einer populären Leserschaft, die spirituelle Nahrung innerhalb eines kirchlichen Rahmens erwartet und Hilfen zur tieferen Erfassung von Verhaeghes Frömmigkeit sucht. Diese Erwartungen werden nicht enttäuscht.
P. Alkuin Schachenmayr O.Cist.
Geißler, Hermann: Sie diente der Kirche. Mutter Julia Verhaeghe und die Entfaltung der geistlichen Familie ‚Das Werk‘, fe-Verlag, 288 Seiten, € 12,80 ISBN: 978-3-86357-282-2

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