Lewis: Den Aspekten in der Tiefe nachspüren

Mit seinem neuen Buch über Clive Staple Lewis (1898-1963) legt Norbert Feinendegen (geb. 1968), der nach seinem Studium der Physik, Philosophie und römisch-katholischer Theologie unter anderem als Dozent in der Erwachsenenbildung der römisch-katholischen Erzdiözese Köln wirkt, eine aktualisierte Fassung seiner Dissertation über Lewis‘ „Denk-Weg zu Christus“ von 2008 vor. „Apostel der Skeptiker“ belegt die intensive Auseinandersetzung des Autors mit Lewis, nicht zuletzt als Mitherausgeber unveröffentlichter Schriften, etwa der ebenfalls 2015 publizierten Texte aus dem „Great War“ zwischen Lewis und Owen Barfield (1898-1997), einer für beide Freunde prägenden Auseinandersetzung in den Jahren 1927 bis 1930. Zugleich bündelt Feinendegen mit seinem Buch eine Reihe von vorausgegangenen Arbeiten, angefangen von Beiträgen zu den Diskussionen zwischen Lewis Stephen Thorson (2008) sowie den Chroniken von Narnia als Orte der Begegnung mit Christus (2011) bis hin zu Lewis’ Reflexionen über die Trauer (2015).

Auf dem Fundament dieser Vorarbeiten sowie unter Einbezug neuerer englisch- und deutschsprachiger Forschungen beschreibt der Autor in der vorliegenden Arbeit Lewis’ Weg, auf dem er im Glauben an die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus einen Schlüssel zu einem Verständnis von Welt und Geschichte, letztlich eine Antwort auf seine Frage nach der Wahrheit findet. Zunächst schildert Feinendegen, wie Lewis während der 20er Jahre in der Auseinandersetzung mit Barfield und Cecil Harwood (1898-1975) und deren positiver Haltung zu Rudolf Steiners Anthroposophie seine erkenntnistheoretische Position schärft. Im Rückgriff auf Samuel Alexander (1859-1938), den Lewis 1924 liest, beschreibt er Erfahrung als das, was sich dem Bewusstsein als Resultat des Erlebens (enjoyment) und der Reflexion (contemplation) präsentiert. Solche Erfahrung wird möglich, weil die Fähigkeit des Menschen zur Imagination die Grenzen der menschlichen Vernunft überschreitet. Zugleich – und hier zeigt sich der Einfluss von Samuel Taylor Coleridges (1772- 1834) – ermöglicht die Imagination das Erkennen des Ähnlichen im Unähnlichen, die Einheit in der Verschiedenheit. Mit Barfield kommt Lewis darin überein, dass die Imagination das Erkenntnisorgan sei, das in der Lage sei, der Welt eine Bedeutung, einen Sinn abzugewinnen.

Von daher sei eine positivistische Einstellung, wie sie damals im Anschluss an den Wiener Kreis Sprachphilosophen wie Gilbert Ryle (1900-1976) oder Charles Kay Ogden (1889-1957) vertraten, grundsätzlich zu hinterfragen. Sprache ist für Lewis nichts schlechthin Gegebenes oder naturwissenschaftlich Analysierbares, sie ist veränderlich und deshalb nicht eindeutig, sie berge immer Bedeutung (meaning) und verweise zugleich auf eine Wahrheit (truth), die sorgfältig voneinander zu unterscheiden seien. Entsprechend rät Lewis in einer Vorlesung von 1932 Philosophie und Theologie zum kritischen Umgang mit dem sogenannten naturwissenschaftlichen Weltbild und dessen philosophischen und weltanschaulichen Voraussetzungen. Nicht mit dem Anspruch des Benutzen-Wollens (use), sondern der Bereitschaft zum Empfangen (receive) und damit zu einem „fortwährenden Ikonoklasmus“ solle der Mensch der Wirklichkeit gegen-übertreten. Nur so könne er – und hier reflektiert Lewis seine eigene Konversion zum Christentum – die Erfahrung der Freude (joy) machen, die in ihm die Sehnsucht nach dem Anderen, nach der Einheit mit Gott entfache.

Das „argument from Desire“ sei eben kein teleologisches Argument (wie viele meinen), sondern eine Art existenziell „durchlebter“ ontologischer Gottesbeweis. Umgekehrt erschließe sich dem Menschen, der sich Begriff und Erfahrung des dreieinen Gott schenken lasse, letztlich die Lösung der Frage nach Einheit und Vielfalt der/des Menschen. Die Erkenntnis Gottes sei wie die Offenbarung Gottes überhaupt im Grunde nur als Transposition zu verstehen, ein Begriff, der nach Feinendegen bislang viel zu wenig Beachtung gefunden habe (S. 177), aber den zentralen Gedanken von Lewis’ Theologie darstelle. Immer begegne der Mensch, formuliert Lewis im Anschluss an Rudolf Otto, Gott als mysterium tremendum et fascinans, erlebe freudig und überrascht das Göttliche, das sich je neu, aber zugleich auch immer und überall, in die erfahrbare Wirklichkeit hinein transponiere und der Schöpfung damit sakramentalen Charakter verleihe. So überzeugend und nachvollziehbar Feinendegen diesen Gedanken beschreibt, unterbleibt eine nähere Analyse, aus welchen theologischen Quellen Lewis hier schöpft, der sich in der Auseinandersetzung mit John Ronald Tolkien (1892-1973) ja bewusst gegen den römisch-katholischen und für den anglikanischen Glauben entscheidet. Feinendegen weist darauf hin, dass sich Lewis – ähnlich wie sein Freund Tolkien – keinem Phänomen so intensiv gewidmet habe wie dem des Mythischen und des Mythos. Mythen versteht Lewis als Geschichten, die im Innersten berühren und ein Gefühl der Ehrfurcht hervorbringen.

Sie zeichnen sich durch Elemente aus, welche die Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten der normalen Erfahrungswelt des Menschen übersteigen, und eröffnen einen Blick in die Welt des Ewigen. Der Mythos biete einen Ausweg aus der kontingenten Erfahrung, weil er die Erfahrung allgemeingültiger Prinzipien ermögliche. Darin entspreche der Mythos dem Geschehen von Tod und Auferstehung Jesu, wobei es hier nicht um eine bloße Geschichte, sondern ein historisches Ereignis gehe, das durch glaubwürdige Zeugen überliefert worden sei und immer noch werde. An dieser Stelle zeigt sich Lewis als begeisternder anglikanischer Christ, der Autorität von Personen weder unkritisch verwirft noch einfach als gegeben hinnimmt, sondern sie ihnen nur zubilligt, wenn er sich von deren Glaubwürdigkeit vorher hinreichend überzeugt hat. Angesichts der Tatsache, dass Feinendegen dem Themenfeld Autorität einen Großteil seiner Darstellung widmet, hätte man in diesem Kontext vielleicht auch auf Lewis’ Beziehung zur Wahrscheinlichkeitslehre von Joseph Butler (1692 – 1752) und John Henry Newmans (1801-1890) Zustimmungslehre eingehen können. Auf faszinierende Weise schildert Feinendegen die Auseinandersetzung des Literaturwissenschaftlers Lewis mit der historisch-kritischen Methode, seinen Umgang mit der Kritik etwa von Rudolf Bultmann an der Geschichtlichkeit von Wundern und schließlich seine Kritik an der petitio principii, die davon ausgeht, dass immer unsere, je heutige Zeit Recht hätte. Immer wieder schlägt der Autor Brücken ins Heute, wenn er Überlegungen moderner Theologen einbezieht, in diesem Kontext des Mainzer Neutestamentlers Marius Reiser. Intensiv widmet sich Feinendegen der Bedeutung, die Lewis den Wundern Jesu zumisst, insbesondere der Inkarnation als zentralem Wunder, als transpositorischem Ereignis und Theophanie.

Als solche offenbaren Wunder die innerste Einheit der in Gott begründeten und von ihm verursachten Schöpfung. Damit erklären sie, worum es in der Geschichte eigentlich geht und am besten erschließe sich ihr Gehalt (sowie der Gehalt der biblischen Bilder überhaupt), wenn der Mensch ihnen entsprechend zu handeln versuche. Erst wenn sich die rituelle Verehrung eines numinosen Göttlichen mit dem Ethischen verbinde, könne man – so Lewis – von wahrer Religion sprechen. Dies zeige sich im Judentum, aber vor allem – hier folgt er Gilbert Keith Chesterton (1874-1936) – im Christentum, wo die biblischen Aussagen nach wie vor die Zuhörenden vor die grundlegende Entscheidung stellten, wie sie denn zu Jesus stünden. Die Inkarnation als Mythos in der Geschichte stelle dabei ein historisches und zugleich ein Freiheitsgeschehen dar, das die Antwort des ganzen Menschen fordere und je neu die Frage nach der Rolle des Sühnetodes Jesu für das jeweilige Heute aufwerfe. In diesem Sinn vereinige die Inkarnation Mythos, Faktum und Wahrheit, doch zwinge der Glaube an die Menschwerdung nicht zu einer bestimmten Theorie, die nur so und nicht anders vertreten werden dürfe. Wo immer dieser Anspruch erhoben werde, wäre das für Lewis – so schreibt er wiederholt in den 40er Jahren – ein sicheres Zeichen, dass mit dieser Deutung etwas nicht stimmt. Denn im Lauf der Zeiten veränderten sich Interpretationen zwangsläufig, weil sie auf dem Hintergrund des jeweiligen Wissenstandes der Zeit je neu formuliert werden. Grundsätzlich gilt für Lewis, dass die Frage nach dem Wie der Erlösung dem Glauben an das Dass und dem Handeln aufgrund der Basis dieses Glaubens nachgeordnet sei.

Römisch-katholische Theologen, gerade in Deutschland, mögen diesen Ansatz vielleicht als ungenügend betrachten, zu unpräzise, oder wie es Feinendegen in seinem Schlusswort formuliert, „spielerisch anmutend“ (S. 376). Aber es geht Lewis, darauf hebt Feinendegen auch ab, eben weniger um theologische Präzision ins letzte Detail hinein, sondern er spricht zu den Menschen seiner Zeit und für sie, um ihnen zu helfen, den Weg zu Christus zu finden. Und er tut dies auf typisch anglikanische Art, die Inhalte des Glaubens nicht in letzte, in Stein gemeißelte und dogmatisierte Definitionen zwingt, sondern sich – auch mit Rücksicht auf die innerkirchliche Ökumene – Zurückhaltung (restraint) gegenüber dem letzten Grund auferlegt.

Mit seiner umfassenden Darstellung unterstreicht Feinendegen, wie wenig eine exklusive Vereinnahmung Lewis’ durch eine bestimmte Weltanschauung seinem Denken und seiner Person gerecht wird. Vielmehr zeigt er Lewis als unabhängigen Denker, Forscher und Gläubigen, der sich der Moderne gegenüber nicht abkapselt, sondern ihr gelassen und kritisch gegenüber tritt, um sie auf ihre Vernünftigkeit, Wahrhaftigkeit und Menschlichkeit hin zu befragen. Nachdem bislang die Werke von Lewis überwiegend – sowohl im englisch- als im deutschsprachigen Raum – in thematisch begründeten Sammlungen vorlagen, liegt mit „Apostel der Skeptiker“ nun eine umfassende Gesamtdarstellung vor, die sowohl eine erste Begegnung als auch eine intensivere Auseinandersetzung mit Lewis ermöglicht. Das umfangreiche Verzeichnis von Primär- und Sekundärliteratur zeigt dem Leser vielfache Möglichkeiten auf, sich – ganz im Sinne von Lewis – vom eigenen Interesse leiten zu lassen und einzelnen Aspekten in der Tiefe weiter nachzuspüren.

Joachim Feldes

Feinendegen, Norbert: Apostel der Skeptiker. C. S. Lewis als christlicher Denker der Moderne, Verlag Text & Dialog 2015, 400 Seiten, € 29,95, ISBN: 9783943897227

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert