
Die Stimme des Schweigens
Im Zentrum Berlins konnte jedermann es vernehmen, das Schweigen Papst Pius‘ XII. zu Tod, Vernichtung und Ausrottung. Sogar ein Schild sollte staunende Zuhörer darauf hinweisen, dass es sich hier wirklich um die Stimme aus dem Vatikan handelt: “Hier hören Sie das Schweigen des Papstes!” Dem Kurator der Pius-XII.-Ausstellung im Charlottenburger Schloss, Ingo Langner, ist dieser pädagogischer Clou zuzuschreiben. Er setzte den letzten Präsentationsraum akustisch in Szene, indem die Weihnachtsansprache des Pontifex aus dem Lautsprecher zu Gehör gebracht wurde. „Unser Gelöbnis schuldet die Menschheit den Hunderttausenden, die, persönlich schuldlos, bisweilen nur um ihrer Nationalität oder Abstammung willen dem Tode geweiht oder einer fortschreitenden Verelendung preisgegeben sind. Regelungen des Besetzungs- und Kriegsgefangenenrechts sind mancherorts toter Buchstabe geblieben. Wollen die Völker dieser verhängnisvollen Entwicklung tatenlos zusehen?“ Die Mär der Totenstille scheint vorüber, zumal diese Ansprache sogar das andere Ende des großen Teiches erreichte. Verlautbart doch die New York Times in ihrer Ausgabe vom 25. Dezember 1942 über das Kirchenoberhaupt: „The voice of Pius XII. is a lonely voice in the silence and in darkness enveloping Europe at Christmas 1942. He is pretty much the sole ruler on the continent who dares even to raise his voice.“

Der Papst zeichnet jene Menetekel auf, die bereits die Interalliierte Erklärung zur Vernichtung der Juden vom 18. Dezember 1942 angeführt hatten. Allein die Philippika des Schriftstellers Rolf Hochhuth und die davon beseelten Historiker verteidigen gebetsmühlenartig dessen Narrative. Ingo Langner, Filmemacher, Dramaturg und Theaterregisseur, nähert sich im literarischen Stilmittel des Kriminalromans dem Fall Pacelli, nachdem er unter Pseudonym Julius Wintermanthel bereits 2012 den Roman „Die schwarze Legende“ publizierte, der Rolf Hochhuths „Der Stellvertreter“ ebenfalls thematisiert.
Adrian Friedhoven ist als Filmautor am Rande seiner Existenz, als ihm das Angebot zugetragen wird, zu Flor Knapps Theatererfolg „Der Fels“ das Drehbuch zu schreiben. Ähnlich wie Hochhuths Opus bescheinigt auch Flors Werk Papst Pius XII. eine tiefgreifende Mitschuld am Holocaust. Einzig die Nebenrolle eines Hans Kerrl entpuppt sich als reale Gestalt. Allerdings stirbt der herzkranke Reichskirchenminister nicht 1941 in Paris, sondern ist lediglich untergetaucht, um später als Hans Mann weiterzuleben. Als Onkel Hans sollte er dem zarten Adrian im Kindesalter ein Trauma zufügen, dessen Bewältigung aussteht. Schnell wird klar, dass der zunächst fügsame Schreibknecht über seinen Schatten springt und eigenhändig mit Recherchen beginnt, auch im Vatikan. Dabei wird nicht nur Staub aufgewirbelt, auch die Emotionen kochen über. Für Adrian beginnt eine Flucht durch halb Europa. Er sucht die historische Wahrheit. Dass dabei auch die Mafia mitmischt, ist wohl dem italienischen Set geschuldet. Fast am Ende der Reise angekommen, steht Friedhoven sowohl am Rande seiner Karriere als auch mit einem Bein im Grab, als er vom Ätherrausch unweit der Qumranhöhlen erwacht und seinem Widerpart ins Auge blickt.
Das vorliegende Buch verspricht eine packende Erzählung rund um den Pacelli-Papst. Dieser rote Faden findet sich auch in allen Kapiteln wieder. Der faktische Handlungsstrang ist aber viel weiter gesponnen, als das Titelbild und die Titulation vorzeichnet. Zwischen der propagandistischen Hexeküche Stalins und den damit verzweigten Geheimdienstkanälen ragt ein Gedanke heraus: Mit der ultramontanen Schuldzuweisung fließe die Schuld von Deutschlands Spree direkt in den römischen Tiber und somit vor die Haustüre des Papstes. Auch darüber sollte nicht geschwiegen werden.
Florian Mayrhofer
Langner, Ingo: Der Fall Pacelli. Ein Kriminalroman, Bernardus Verlag 2018, 226 Seiten, € 14,80 ISBN: 978-3810702838

