Einfältige Charismatik?
Der 1767 heiliggesprochene Franziskaner-Konventuale Josef von Copertino (1603-1663) ist bekannt als der „Heilige der Flüge“ und war im 17. Jahrhundert bei Volk, Adel und Klerus auch durch andere Wundertätigkeit einer der populärsten Männer der Kirche. Es ist vielfach glaubwürdig bezeugt, dass Bruder Josef an die 70 Mal frei in der Luft geschwebt hat und damit über die Gnadengabe der Levitation/Elevation verfügte. Seine Heiligkeit bestand aber nicht darin, sondern in der Art, wie er sich demütig, geduldig und „heroisch“ den Anweisungen der Inquisition und seiner Oberen fügte. Walter Nigg nahm ihn auf in sein bekanntes Buch „Große Heilige“ und widmete ihm dort unter dem Titel „Der einfältige Charismatiker“ ein schönes Porträt.

Nun hat der fe-Verlag (Kisslegg) die erstmals 2014 in St.Ottilien erschienene Biografie des Schweizer Franziskaners Gottfried Egger unter dem sehr passenden Titel „Hingerissen von der Liebe Gottes“ mit vielen bunten Bebilderungen neu herausgebracht. Egger beginnt im Geiste Albino Lucianis (Johannes Paul I.) mit einem ganz persönlichen aktualisierenden Brief an seinen Ordensbruder (11-18). Sehr spannend ist dann die Schilderung des Lebenslaufes (19-111) mit seinen Höhen und Tiefen. Josef wird in Copertino (Apulien) in eine arme Familie geboren, seine Mutter war sehr streng, sein Vater verschuldet. Als Kind war er ungeschickt und fast trottelig, auch die Schule war mühsam. wegen seiner Träumereien bekam er den Spitznamen „Offener Mund“ (Bocca Aperta).
Oft und lange war er krank, musste selbst die Schulden des Vaters übernehmen, bekam aber den eindeutigen Ruf zum geistlichen Ordensleben. Nachdem die Kapuziner ihn ablehnten, haben zwei höhergestellte Franziskaner-Onkel ihm dann die Aufnahme in das Franziskanerkloster in Grotella vermittelt. Nach seiner Priesterweihe begannen die charismatischen Levitationen (zuerst bei einer Prozession) und Elevationen, sowie wunderbare Heilungen, Der Zuspruch der Bevölkerung weckte das Misstrauen der Inquisition, die sensationelle Wundersucht und einen falschen Heiligenkult verhindern wollte. Über Neapel wurde er von der Inquisition „strafversetzt“ nach Assisi, was er nur als einen Wink seines verehrten Ordensvaters Franziskus deuten konnte.
Die Leute folgten ihm in Scharen, suchten Rat und Hilfe, auch Adlige und Kardinäle aus ganz Europa. Am 4. August 1644 machte ihn der bürgerliche Rat der Stadt Assisi zum Ehrenbürger. Doch wieder wurde der Argwohn der römischen Inquisition geweckt, die ihn in die Verbannung und die Klosterhaft nach Pietrarubbia, Fossombrone und Osimo schickte. Demütig und fromm fügte er sich und blieb weiter offen gegenüber seinen Charismen, die ihn z.B. zweimal in derselben Nacht den Tod eines Papstes sehen ließ, in Bilokation war er beim Tod seiner Mutter in Copertino anwesend. Ermüdet und erschöpft verstarb er mit 60 Jahren in Osimo, wo er auch begraben wurde. Alles dies schildert Gottfried Egger liebevoll, ansteckend und in historischer Genauigkeit mit vielen ergreifenden Episoden. Sein Buch beschreibt auch „Verehrung und Charakter“ des Heiligen, von dem ein sinnlicher „Duft der Heiligkeit“ ausging (113-135). Den Abschluss bildet ein Kapitel über seine Verehrung bei Schülern und Studenten, bei Fliegern und Piloten, sowie eine kleine Sammlung seiner geistlichen Aphorismen.
In einer für den echten Glauben und die Kirche dunklen Zeit kann Josef von Copertino ein Fürsprecher sein, auch ein Zeuge für die Realität der Übernatur, die „hingerissen“ machen kann von der Liebe Gottes in Jesus Christus, in seiner Eucharistie und in der Gemeinschaft seiner Heiligen. Es gibt keine bessere und erbaulichere Biografie als die nun wieder vorliegende von Gottfried Egger OFM.
Stefan Hartmann
Egger, Gottfried: Hingerissen von der Liebe Gottes. Leben und Spiritualität des hl. Josef von Copertino OFMConv, fe-Verlag 2020, 150 Seiten ISBN: 978-3863572631 € 10,-

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