Geistvoller Kommentar zum Neuen Testament

Bibelkommentare gibt es wie Sand am Meer. Zu Spitzenzeiten spülte jede Welle eine neue Sandbank ans Ufer; wer eine Perle darunter findet, kann sich glücklich schätzen. Die fünf Bände der „Edition C Bibelkommentar Neues Testament“ erschienen 2018 im Taschenbuchformat als Reprint einer 2007 publizierten Auflage und richten sich in ihrer verständlichen Sprache primär an Christen, die im Dienst der Verkündigung stehen oder sich der Weitergabe des Evangeliums verschrieben haben. Darüber hinaus entriegeln die geistreichen Hinweise auch die Schranken des persönlichen Nichtwissens. Herausgeber Gerhard Maier war Pfarrer der württembergischen Landeskirche, agierte im akademischen Milieu und hatte 2001-2005 das Amt eines Landesbischofs der Evangelischen Kirche inne. Neben Maiers Evangelienkommentar vermitteln weitere evangelische Theologen und Missionare ihre exegetischen Erkenntnisse, deren kergymatisch-charismatischer Geist ins Auge fällt. Sie stehen somit im erfrischenden Kontrast zu älteren Kommentarreihen, insofern der Text vorwärts auf Christus hin gelesen und dadurch eine „lebendige Welt des Ringens und Verstehens“ eröffnet wird, um die Methodik mit Joseph Ratzinger zu umschreiben.

Eine Besonderheit der Auslegungsmethodik verkörpert die Ästimation und Wertschätzung gegenüber der Heiligen Schrift. Dem Wort Gottes wird ein großer Vorschuss an Vertrauen geschenkt, unter diesem Vorzeichen eine respektvolle Exegese betrieben. Zuvor lässt der Autor in den kurzen Einleitungsfragen erkennen, welchen Standpunkt der Verfasser bezieht. Vers für Vers bzw. in thematischen Versgruppen analysiert und verdeutlicht der jeweilige Exeget den zugrundeliegenden Text. Im Anschluss an den Kommentar leiten Vorschläge zur Bibelarbeit mit Einleitungsfragen und konzisen Durchführungsmodellen (2 Seiten) über zur angewandten biblischen Spiritualität, damit das Wort wieder Fleisch wird.

Neben der historischen Erklärung werden auch vielfältige Tiefendimensionen biblischer Aussagen sichtbar. So identifiziert Maier in Mt 13,24 das „Unkraut“ mit dem giftigen „Taumellolch“, einem anfänglichen Zwillingsbruder des Weizens. Ein anderes Beispiel liefert die Syrophönizierin in Mk 7,24, mit der Markus eine provokante Parallele zu Isebel und Elia begründet. Für Verwirrung sorgt jedoch Maiers Auslegung zur Verkündigungsszene. Maria gerät in „Verwirrung“ (ταράσσω), hier könnte mit dem polyglotten Franz Zorell auch „in Verlegenheit geraten/in Schrecken und Bestürzung versetzen“ transkribiert werden. Die eigentliche Konfusion stiftet jedoch die Inkohärenz innerhalb eines Gedankens, der sich von Lk 2,1 zu Joh 19,25 herausbildet. Stünde der Terminus „monogenes“ (μονογενής) tatsächlich im nummerischen Kontext, wäre die Sohnesrolle des Lieblingsjüngers unter dem Kreuz obsolet. Maier bekennt einerseits die Jungfrauengeburt, gemäß seiner Konfession jedoch nicht die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens. Maier erklärt den zweifelhaften Umstand: „Weil die Brüder Jesu weder anwesend noch gläubig waren, hat Jesus Johannes auserwählt. Aber über Vermutungen kommen wir nicht hinaus.“ An dieser Stelle fehlt die sonstige Argumentation mit den Kirchenvätern.

Speziell im mariologischen, sakramententheologischen sowie im ekklesiologischen Kontext muss der katholische und orthodoxe Christ mit konträren Ergebnissen rechnen und sich den Völkerapostel zum Vorbild nehmen, der alles prüft und das „Gute“ behält. Es wäre auch vermessen, von protestantischen Exegeten eine katholische Exegese zu erwarten. Petri Amt ist kein Daueramt, sondern „einmalige Aufgabe“, das eucharistische Brot ist zuerst im Glauben zu empfangen (accipite), wenngleich es wirklich der Leib Christi ist. Für Spannung sorgt Maiers Auslegung zur Versuchung Jesu: „Interessant bleibt, dass der Teufel damit rechnet, dass Jesus mit einem einzigen Schöpferwort (sprich) Stein in Brot verwandeln kann. Er glaubt also eher an die Wunder als die liberale Theologie oder moderne Bibelkritik.“

Der Korpus neutestamentlicher Briefe umfasst drei Bände und beinhaltet eine ebenso detaillierte Kommentierung in hoher Quantität. Dass die Heterogenität der Exegeten manchen Impetus erzeugt, liegt in der Natur der Sache begründet. Augenfällig ist die Übersetzung der/des vielfach kolportierten „Junias“ in maskuliner Form, mit freier Endung des Verses in Röm 16,7b: „welche berühmte Apostel sind“. Die neuen Übersetzungen der Lutherbibel und Einheitsübersetzung sind hier eindeutig korrekter am griechischen Ursprung.

Der Leser würde die Ziele der Kommentarreihe verfehlen, wenn er eine ausführliche Darlegung aller Einleitungsfragen oder eine wissenschaftliche Auseinandersetzung erwartet. Diesen Umstand bekennt Maier offen im Vorwort des Johanneskommentars. Vielmehr steht eine verständliche Auslegung der biblischen Botschaft im Fokus, um die Weitergabe in Predigten, Bibelrunden, Erwachsenen- und Schülerkreisen sowie in Gemeinschaften zu ermöglichen. Für das österreichweite Angebot „Jahre der Bibel 2018-2021“ und darüber hinaus liefert diese Edition brauchbare Erkenntnisse und praktische Anleitungen, aus und mit dem Wort Gottes zu leben. Eine wünschenswerte Neuauflage könnte die Paginierung aktualisieren (es handelt sich um Bindeeinheiten in getrennter Seitenzählung) sowie durch Kopfzeilen mehr Orientierung innerhalb der Einzelbände gewährleisten.

Florian Mayrhofer

Maier, Gerhard (Hg.): Edition-C-Bibelkommentar Neues Testament. SCM R. Brockhaus 2018, 8976 Seiten, € 69,- ISBN: 9783417253658

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