Jesus der Christus
Franz Dünzl starb im Jahre 2018 im Alter von 58 Jahren. Er war Kirchenhistoriker mit dem Schwerpunkt Patrologie, Lehrstuhlinhaber in Würzburg. Besonders hervorgetreten ist er mit seinen Forschungen zu Gregor von Nyssa. Zwei kleine, aber exquisite Bücher dürften für jeden, der sich mit den komplizierten Denkbewegungen auseinandersetzen will, die zur Ausformulierung des dogmatischen Inhalts führten, wegweisend sein: Seine „Kleine Geschichte des trinitarischen Dogmas in der Alten Kirche“ und seine hier zu besprechende „Geschichte des christologischen Dogmas in der Alten Kirche“, postum herausgegeben von seinen Mitarbeitern Michael Bußer und Johannes Pfeiff.

Beide Bücher verstehen sich als einführende Überblickswerke. Schon eine flüchtige Lektüre zeigt, welche komplizierten gedanklichen Sprünge die Grundtatsache des Christentums „Gott ist Mensch geworden“ bzw. „Und das Wort ist Fleisch geworden“ über viele Jahrhunderte ausgelöst hat. Und auch wenn uns viele spekulative Wege heutzutage fremd geworden sind (oder vielleicht wegen ihrer profunden Verwurzelung in einem Vokabular, das Adolf von Harnack vor über 100 Jahren als „hellenistisch“ oder „hellenisierend“ bezeichnet hat): Die frühen Christen haben sich oft nicht minder schwer getan, genaue Formulierungen zu finden oder dogmatische Grenzpfähle abzustecken – ganz abgesehen von der oft turbulenten politischen Lage, in der sich die Kirchenväter oft befanden; oft das genaue Gegenteil einer gesicherten Schreibtischexistenz. Zu den spekulativ-dogmatischen Streitigkeiten gesellten sich überdies kirchenpolitische Verwerfungen – so ist der Streit zwischen Nestorius von Konstantinopel und Cyrill von Alexandrien um den Begriff der „theotokos“ im Vorlauf des Konzils von Chalkedon auch ein Spiegel der Konkurrenz zweier Patriarchate, die um theologische Vorherrschaft gerungen haben; von Cyrill soll Newman gesagt haben, seine Skrupellosigkeit mache es für ihn schwer, an seine Heiligkeit zu glauben.
Wer Freude am spekulativen Denken hat, möge sich folgende Fragen vor Augen führen: Wie ist die Einheit zwischen Gottheit und Menschheit zu denken? Gibt es eine Absorption, überlagert die Gottheit die Menschheit? Was ist mit dem Begriff „Logos“ gemeint? Hat Christus eine Seele? Ist er eine Art Ausnahmewesen, ein Übermensch? Wie verträgt sich seine Gottheit mit dem Leiden? Ist das Leiden Camouflage, eine Chiffre? Wie diese Überlegungen oft hin- und hergeschwankt sind, wie sie verfeinert wurden, wie raffiniert sie oft waren (so dass sie ganz Außenstehenden vielleicht nicht ganz zu Unrecht als Wortklaubereien vorkommen) – darin gibt Dünzl einen Einblick.
Dünzl versteht es, die Kirchenväter selbst in ausführlichen Quellenzitaten zu Wort kommen zu lassen. Seine Erklärungen sind prägnant, einfühlsam, immer gut zu lesen, er verwickelt sich nicht in allzu ausführliche Zitate, sondern bringt die Problematik kurz und präzise auf den Punkt. Wer es kürzer haben will, soll in die einschlägigen dogmatischen Handbücher schauen, wer es ausführlicher mag, ist bei Grillmeier und Schmaus an der richtigen Adresse. Das Werk ist ein spannendes Stück Dogmen- und Kirchengeschichte, das sich jeder Theologe getrost in die Handbibliothek stellen kann.
Frater Eugenius Lersch O.Cist.
Dünzl, Franz / Bußer, Michael (Hg.): Geschichte des christologischen Dogmas in der Alten Kirche. Herder 2019, 222 Seiten, ISBN: 978-3451378775 € 28,-

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