Das Kreuz im Licht von Poesie und Exegese

Die biblischen Schriften tragen den Keim der Liebe Gottes in sich und bekunden die capax Dei, die Gottfähigkeit des Menschen. Diese Zuneigung menschlich erfahrbar zu machen, den persönlichen Zweifel und zugleich die ansteckende Großzügigkeit Gottes nicht aus den Augen zu verlieren, ist das „Wagnis des Christen“ (Johannes Messner). Klaus Berger darf für seine leidenschaftliche und fundierte Exegese im deutschsprachigen Raum als der führende Neutestamentler betitelt werden. Gemeinsam mit dem evangelischen Pfarrer und Liedermacher Clemens Bittlinger analysiert er die Zentralaussagen der Kreuzestheologie und transportiert sie in eine lebendige Sprache. Dass dabei auch ökumenische Klänge hörbar werden, verdanken wir dem Reformationsjubiläum von 2017. Bittlinger lieferte dazu das bekenntnishafte Reformationslied: „Dieses Kreuz“. Als deutsche Bibelübersetzung liegt die Berger/Nord Ausgabe sowie die revidierte Lutherbibel (1999) zugrunde. Kreuz, Sünde, Erlösung sowie Auferstehung und die daraus aufkeimende Spiritualität werden erläutert. Prägnante Gedichte und Liedtexte zur Kreuzestheologie unterstützen die Gedanken.

Kreuz und Auferstehung vermitteln den zentralen Inhalt des christlichen Glaubens: die Dimension der Leiblichkeit. Bergers Programmatik gegen die Entmythologisierung biblischer Texte findet auch hier seinen Niederschlag. Beide Theologen bestärken den Leser mit ihrem starken Vertrauen gegenüber dem biblischen Text, jedoch auch mit herausfordernden Formulierungen. Jesusbilder, die primär den kommerziell-romantischen Zweck erfüllen, verschütten die spirituelle Tiefe und die Heilsbedeutung der Kreuzigung. Mit seinen Seitenhieben gegen die liberale Theologie und die „Psycho-Welle“ rüttelt Berger den Leser wach. Primär besticht er aber in seinen exegetischen Ausführungen und liefert substantielles Hintergrundwissen (eigentlich Basiswissen!). Bittlingers pastorale Sprache komplettiert die spirituellen Seiten und Facetten der biblischen Wirklichkeit. Christi entscheidende Befreiungstat ist die solidarische Stellvertretung „für uns“. Ihn als emphatischen Psychotherapeuten, als „hedonistischen Gemeinschaftsstifter“ zu verkündigen, hat die Nivellierung des rauen und blutigen Kreuzes zur Folge. Sein Opfer knüpft an vorhandene Zeichen an, sodass es ein „halb kultisches“ geworden ist. Zwar im Blut, aber nicht im Tempel, grausam, aber wegen des Hasses der Menschen.

Ob die Auferstehung Theorie oder Poesie, real, symbolisch oder totaliter aliter aufzufassen sei, beantwortet Berger mit dem Hinweis auf Joachim Fiores Lichtmetaphorik und dem geistdurchtränkten Jesus, der im ganzen Evangelium ein Plädoyer für die Auferstehung gibt. Dieser Geistbesitz, als Unterpfand der Auferstehung, äußert sich körperlich und hat somit Konsequenzen für unser Leben im Taufbund, der „Ersten Auferstehung“. Es gilt, so Bittlinger, im Glauben Spuren dieses Kreuzes und seiner Auferstehung zu spüren, sich vom „Hauch der Unendlichkeit“ beleben zu lassen. Denn: „Stark wie der Tod ist die Liebe, / die Leidenschaft ist hart wie die Unterwelt. Ihre Gluten sind Feuergluten, / gewaltige Flammen.“ (Hld 8,6b)

Florian Mayrhofer

Berger, Klaus / Bittlinger, Clemens: Dieses Kreuz. Weil die Liebe stärker ist, Herder 2018, 157 Seiten, € 18,60 ISBN: 978-3451379833

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