Neros Abgesang auf den feurigen Untergang

Ein skeptischer Blick konfrontiert den Leser, sobald er das Konterfei des Autors erblickt. Auf seiner Hand abstützend und damit den Mund verschließend, wirken seine stechenden Augen noch fragender und provokanter. Zugegeben, der Roman des moldawischen Priestermönches ist provokant und erbarmungslos, zum Teil gleitet er ins Phantastische ab. Jakob Kohner, Protagonist der Handlung, lebt als Werbeträger und Blogger in einer nicht näher umrissenen Stadt ferner Zukunft, deren Staatslenker aktiv an der Reduktion der Weltbevölkerung beteiligt sind und waren. Eine rigide Gesetzesnovelle führte nicht nur zur Sonderbesteuerung des 2. Kindes, dem Nachwuchsrecht allein für den Erstgeborenen, sondern auch zur automatischen Euthanasierung mit dem Ende des 65. Lebensjahres. Dieses Schicksal konfrontiert Jakob am Beginn der Erzählung, als der Bescheid von der „Unterbrechung der physischen Funktionen einer zum sozialen Leben unfähigen Person“ zugestellt wird. Bezahlt Jakob die Gebühr von 240 Euro, händigt das Rathaus sogar die Asche seiner Mutter aus. Einziges Erbstück und Trostpflaster sind die kleine Bibel und ein persönlicher Brief mit religiösen Gedanken seiner Mutter. In der Todesanstalt „Euthanasius-Heim“ machte Maria mit Vater Johannes Bekanntschaft, seines Zeichens Repräsentant einer vom Aussterben bedrohten Gattung: des kirchlichen Klerus. Sowohl die Heilige Schrift als auch das geistige Testament der Mutter wecken in Jakob eine Sehnsucht. Sie verkörpern den Anspruch einer jenseitigen Stimme. Er beschließt, den unbekannten Charakterzug seiner Mutter genauer unter die Lupe zu nehmen.

Der weitere Verlauf offenbart die Tragik einer seelenlosen Staatsdoktrin: finanzielle Mittel erlauben ein wohlbehütetes Überleben jenseits der Mitte der Sechzigerjahre. Für Jakob öffnet der Glaube seiner Mutter einen neuen Weg, der im liturgischen Leben der Untergrundchristen endet. Gleich den Berichten des Plinius schildert der Autor den orthodoxen Gottesdienst dieser Gemeinde. Darüber hinaus spielt der Roman vielfältig mit biblischen Bezügen und öffnet dadurch ein literarisches Fenster zur Transzendenz. Die zum Teil utopisch empfundene Epik soll damit zur Heilsgeschichte transformiert werden. Allen voran gleicht der makabre Tod perfider Politiker detailreich dem unversehenen Ableben Herodes Agrippas I. in Apg 12,23; mit der einzigen Ausnahme, dass die Würmer unmittelbar nach dem Verscheiden aus dem Leib hervortreten. Ein Indiz für das Lebenszerstörende, der Trägerschaft des Todes, trotz aller Lebendigkeit. Die frenetischen Umbauarbeiten lassen zudem Neros Abgesang auf den feurigen Untergang erklingen.

Verachtet der Mensch das Leben, weist er es gar zurück, ebnet er zugleich der Kultur des Todes den Weg in das Herz der Gesellschaft. Einer kontinuierlichen Selbstvergiftung gleichen die antizipativen Ideologien einer technokratisch verhafteten Generation. Diktatur von der Wiege bis zur Bahre, dieses Szenario versucht der osteuropäische Autor zu fokussieren und das wahre Gesicht eines aggressiven Atheismus aufzuzeigen. Ob dieser Anspruch inhaltlich und auch sprachlich gelingt, ist Geschmackssache. Jedoch rütteln manche Zeilen am westlichen Verstand, der sich immer öfter hinter der politischen Korrektheit versteckt. Papst Benedikt XVI. thematisierte in seiner „Einführung in das Christentum“ die Herrschaft des Machbaren mit folgenden Worten: „Die Wahrheit, um die es fortan geht, ist die Machbarkeit. Verum quia faciendum. Die Wahrheit, mit der der Mensch zu tun hat, ist weder die Wahrheit des Seins noch auch letztlich die seiner gewesenen Taten, sondern es ist die Wahrheit der Weltveränderung, der Weltgestaltung, eine auf Zukunft und Aktion bezogene Wahrheit.“ Analog dazu der vorliegende Roman: „Nicht das Gesetz macht die Realität, sondern die Realität wird zum Gesetz. Im Grunde gibt es nur ein einziges Gesetz Gottes – das Leben – und ein einziges Gesetz des Teufels – den Tod.“ Politisch unkorrekt formuliert.

Florian Mayrhofer

Baștovoi, Savatie: Der Teufel ist politisch korrekt, Hagia Sophia 2019, 164 Seiten, € 16,50 ISBN: 9783963210259

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