Apologie und Aufklärung
Unversehens schnell findet sich der Christ in der gegenwärtigen Gesellschaftsstruktur vor der Aufgabe, seinen Glauben zu rechtfertigen. Dieser große Druck wird aber nur dann als beklemmend empfunden, als Unwissenheit im Spiel ist. Jede Seite dieses Buches leistet dafür befreiende Aufklärungsarbeit und hilft zudem, den eigenen Glauben besser zu verstehen. Josef Bordat hat es sich zur Aufgabe gemacht, das sog. „Sündenregister“ der Katholischen Kirche kritisch zu hinterfragen, ohne jedoch den Blick auf die Realität zu verlieren. Ein bekennender Christ wird bei fast jedem Gespräch auf mindestens eines dieser Streitthemen stoßen, die der Autor in leicht verständliche Sprache verpackt. Sein Verdienst ist es, sowohl den Dreiklang der Kirchenkritiker (Inquisition, Kreuzzüge, Hexen) als auch Besonderheiten und Entwicklungen (Priesteramt, Schöpfungsglaube, Sexualmoral) aus der säkularen Deutungshoheit zu befreien und in katholischer Perspektive sachlich und unaufgeregt darzulegen. Er führt aus der Hysterie in die Historie und ermöglicht dem Leser, Vorwürfe und Vorurteile zu widerlegen. Allein der Umschlag des Buches spricht Bände: Eine halbgeöffnete Tür, die einladend von der Finsternis (der Vorurteile) zum Licht (der Wahrheit) führt.
Auch ohne Rechtfertigungsdruck müssen wir in unserem Glaubensleben oft eine Zerreißprobe meistern: Wie liest man die schwierigen Stellen der Bibel richtig (22)? Nicht immer wortwörtlich, aber mit „heiligem Ernst“ und ohne Steinbruchexegese zu betreiben, gibt uns der Autor zu bedenken. Nehmen uns die Dogmen der Kirche (30) nicht die Freiheit im Denken? Dass hier auch mit dem Kritiker Hans Küng argumentiert wird, beweist, dass wir keine Augenwischerei vor uns haben. Weitere Fragen lauten: Ist der Engelglaube (38) noch zeitgemäß oder anders: Wie erkenne ich das Wirken meines Schutzengels? Wieso kann man Jesus salopp den „ersten Feministen“ (46) nennen und wie sieht das der Islam? Müsste die Kirche ihre gehorteten Reichtümer (62) nicht längst verkaufen und das Geld den Armen geben? Erheiternd wirkt seine Gegenfrage: „Wieso das Geld, mit dem das Vermögen des Vatikans gekauft werden soll, nicht bereits jetzt den Armen geben?“ Gibt es eine Möglichkeit, moralisch gehör- und sprachlosen Zeitgenossen ins Gewissen (69) zu reden, ohne ihnen dabei ein schlechtes Gewissen zu machen?
Besondere Spannung erzeugen die heißen Eisen der Kirchengeschichte.Wer hätte gedacht, dass die röm-kath. Kirche Jahrhunderte vor dem Aufflammen des Hexenwahns (85) ihn offiziell als „dämonisch inspirierte Einbildung“ gebrandmarkt hatte? Ganz im Gegensatz bei Luther und Calvin (194). Das Bild von brennenden Scheiterhaufen und grausam bestückten Folterkammern im Gefolge der Inquisition (100) versucht der Autor sachkundig zu hinterfragen, bekennt aber, dass sich die Kirche von der Gewaltlosigkeit erschreckend weit entfernt hatte. Mit einem bestechend historischen Zugang werden die Kreuzzüge (123) beleuchtet. Auf den Notruf aus Byzanz, das von islamischen Kalifaten aggressiv bedrängt wurde, wollte und musste das christliche Europa reagieren. Leib und Leben der Jerusalempilger galt es ebenso zu schützen; mit den damals gebräuchlichen Mitteln. Dass sich schließlich Franz von Assisi als Kreuzfahrer ohne Waffen unter das Heer mischte und seine Diplomatie Erfolg hatte, hinterlässt bleibenden Eindruck.
Der Klappentext übertreibt nicht. Kritisch und systematisch geht es weiter, wenn ein theologisch einflussreicher Zeitgenosse gewaltsamen Kolonialismus (115) und Zwangstaufen (152) als Pervertierung des Evangeliums öffentlich stigmatisiert. Ebenso entlasten harte Fakten das „Schweigen“ der Kirche im NS-Terror (160). Missbrauch, Sexualmoral, Unfehlbarkeit und Zölibat beschließen eine spannende Lektüre, die kein Thema unter den Teppich kehrt.
Josef Bordat versteht es, festgefahrene Klischees und Vorurteile zu hinterfragen, mit Schuldzuweisungen richtig umzugehen. Die 36 Kapitel zeichnen sich durch Prägnanz sowie Selbstständigkeit aus und werden durch weiterführende Fachliteratur abgerundet. Das Schlagwortverzeichnis ermöglicht rasche Orientierung. Ein kleines Glossar würde es auch dem Laien ermöglichen, Begrifflichkeiten wie Deismus und Theismus richtig einzuordnen. Weiters könnten in einer neuen Auflage die „verantwortete Elternschaft“ und die Inkulturationskraft des kath. Glaubens intensiver berücksichtigt werden, wobei es auch die Evolutionstheorie erkenntnistheoretischer zu hinterfragen gilt, wie Joseph Ratzinger es vorzeichnet.
Das Buch ist allen Christen zu empfehlen, die einen vernünftigen Zugang zu Kirche und Glauben suchen bzw. vertiefen wollen. Im besonderen eignet es sich für Religionslehrer, missionarische Katecheten sowie bei der Glaubensvermittlung im persönlichen Umfeld.
Florian Mayrhofer
Bordat, Josef: Von Ablaßhandel bis Zölibat. Das „Sündenregister“ der Katholischen Kirche, Lepanto Verlag 2017, 296 Seiten, € 17,90 ISBN: 978-3942605168

